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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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jedenfalls eines sicher: Sie verfügte über kein Medikament dagegen. Und falls sie wirklich übergeschnappt war, falls das finale, ursprüngliche Entsetzen in ihrem Innern tatsächlich an die Oberfläche drang und seinen Tribut forderte, dann konnte sie nichts mehr dagegen tun.
    Einen Augenblick lang kniete sie, wie gelähmt von einem Gefühl der Leere, einfach nur neben dem Hocker und der Badewanne. Eine Sekunde oder ein Jahr hätten vergehen können, ohne dass sie sich des Unterschieds bewusst geworden wäre. Plötzlich spürte sie ein brennendes Gefühl im Rücken – Augen, die sie anblickten. Sie wirbelte herum. An der Tür ihres Umkleideraums sah sie vertraute, besorgte Gesichter: ihre Frisörin, die Garderobiere und der Stylist. Aber etwas schien nicht zu stimmen. Es waren die gleichen Menschen, mit denen sie gearbeitet, gesprochen und gelacht und die sie eben noch angeschrien hatte. Dennoch haftete ihnen eine gewisse Fremdheit an, genau wie Jack, als er aus der Limousinenattrappe stieg; sie waren nicht genau wie früher.
    Als sie auf die Leute zuging, liefen sie davon. Bis sie die Mitte des Umkleideraums erreicht hatte, war er völlig leer. Sie blickte sich um. Einem Instinkt folgend trat sie auf eine der Wände zu und rüttelte daran. Die Wand schwankte. Eine schnöde Kulisse. Nicht echt.
    Aber das Geschrei in der Umgebung war mehr als echt. Wer auch immer diese Männer sein mochten, die da hinter ihr her waren – sie gaben nicht auf. Sie huschte an die Tür zum Flur und spähte hinaus. Menschenleer. Als sie mit Jack hinausgegangen war, hatten sie sich nach rechts gewandt. Also entschied sie sich jetzt für links. Ein anderer Flur kreuzte. Undeutlich erinnerte sie sich, dass es zur Bühne des Garden nach links gegangen war, daher bog sie rechts ab – und stieß einen schrillen Schreckensschrei aus, als sie genau in jemandes Arme fiel.
    Es war Lawford. Er hatte seinen Frack abgelegt und lief in Hemdsärmeln und ohne Schlips herum. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, und er sah womöglich noch erschrockener aus, als sie es war.
    Nur dass es sich nicht wirklich um Lawford handelte. Sie wusste, es war der Mann, den sie irgendwie für Lawford hielt, aber er war es nicht. Sie musste sich nicht einmal losreißen; er presste den Rücken gegen die Wand und sah ihr mit offenem Mund nach, als sie davonrannte.
    Dieses Mal dauerte die Dunkelheit nur ganz kurz an. Genau so schnell, wie sie von ihr umgeben war, war diese auch wieder verschwunden. Sie rannte durch einen riesengroßen, leeren, eingefriedeten Raum. Ihre nackten Füße klatschten auf den weichen, warmen Boden. In der Ferne sah sie Tageslicht, klein wie eine Briefmarke, das beim Näherkommen schnell größer wurde.
    Jetzt wusste sie, wo sie sich befand: in einem Tonstudio. Das Warum und Wie konnte sie sich zwar nicht erklären, aber es war immerhin tröstlich, sich in einer bekannten Umgebung zu bewegen.
    Ihr Atem ging stoßweise und ihre Lunge brannte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so ausdauernd gerannt zu sein. Sie heftete die Augen auf den kleinen Lichtfleck und konzentrierte sich mit jeder Faser darauf, dass er größer wurde. In wenigen Augenblicken würde sie ihn erreichen und den Wahnsinn hinter sich auf dem Boden des Studios lassen, wo er hingehörte.
    Die helle, warme Luft traf sie wie ein Hammerschlag. Geblendet strauchelte sie, schwankte und fiel – doch den Boden erreichte sie nie. Ein Paar starke Arme fingen sie auf, hielten sie fest und stellten sie dann mühelos leicht auf die Beine.
    Er hatte dunkles, dichtes, nach hinten gekämmtes Haar. Seine Haut war blass, wirkte aber nicht ungesund. Fein geschnittene Gesichtszüge, eine schmale Nase von perfekter Symmetrie und hohe Wangenknochen vervollständigten das Bild. Eine Sonnenbrille, wie er sie trug, hatte sie noch nie zuvor gesehen: Sie schien mit dem Gesicht zu verschmelzen, anstatt auf seiner Nase zu sitzen; als wäre sie ein Teil von ihm und nicht ein Accessoire.
    »Das reicht jetzt. Beruhige dich. Am Ende verletzt du dich noch.«
    Seine Stimme klang weich und selbstsicher; er wusste, dass er uneingeschränkte Autorität über sie besaß. Sie mochte diese Art des Sprechens nicht. So hatten auch die Ärzte mit ihr geredet, als sie das letzte Mal mit einem so genannten »Nervenzusammenbruch« ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
    »Lassen Sie mich los!« Sie zappelte, aber er hielt sie fest. Seine schlanken Finger umklammerten ihre Handgelenke ohne

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