Stadt der Lüste
die Lampe ein und sah in den Spiegel. Das Licht war äußerst schmeichelnd, obwohl sie das im Grunde gar nicht nötig hatte.
Emma beugte sich ein wenig vor, fuhr mit der Fingerspitze über ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen und blinzelte einige Male. Ihre graublauen Augen waren am äußeren Rand der Iris ein wenig dunkler und rings um die Pupille beinahe weizenfarben. Sie puderte sich das Gesicht, zog ihre Lippen nach und warf ihrem Spiegelbild eine Kusshand zu.
Emmas Aussehen verlieh ihr ein ungeheures Selbstbewusstsein. Sie war in der Lage, durch ein schlichtes Neigen des Kopfes das Vertrauen ihres Gegenübers zu gewinnen. Ihr Gehirn funktionierte wie ein Computer und verarbeitete Daten in einer irrsinnigen Geschwindigkeit, und wenn nötig, zeigte sie sich knallhart. Ihr Äußeres ließ kaum erahnen, was unter der Oberfläche zum Vorschein kommen konnte, und sie war beherrscht und selbstsicher genug, um genau zu kontrollieren, wann und wo sie die Maske fallen ließ. Sie kämmte sich und hoffte, dass sie in London einen Friseur finden würde, der ihre dunkelbraunen Haare ebenso professionell aufhellte und schnitt. Sie trug ihr Haar kurz, mit Mittelscheitel und hinter das Ohr gestrichen. Sobald sie in London angekommen war, würde sie sich einen Friseursalon empfehlen lassen und dem Stylisten sagen, dass sie ihre Haare
genau so
geschnitten haben wollte, wenn sie in fünf Wochen wiederkam.
Als Emma fertig war, verstaute sie alle Utensilien in ihrem Kosmetiktäschchen und ging zur Tür. Bevor sie das Licht ausschaltete, wandte sie sich noch einmal um und ließ ihren Blick durch das Bad schweifen. Sie straffte die Schultern und brachte so ihre Brüste besser zur Geltung, strich das schwarze Dior-Kleid glatt, drehte sich seitlich zum Spiegel und bewunderte ihren flachen Bauch, den festen Po und die muskulösen Oberschenkel, die im Spiegel gerade noch sichtbar waren.
»Auf in den Kampf. Zum letzten Mal«, sagte sie zu sich selbst, knipste das Licht aus und schloss die Tür.
Als sie aus ihrem Büro trat, erklangen einige bewundernde Pfiffe, und leiser Applaus brandete auf. Obwohl sie um wenig Brimborium gebeten hatte, freute sie sich, dass so viele Menschen gekommen waren. Einige der Gesichter kamen ihr nicht einmal bekannt vor. Da sich der Arbeitstag dem Ende zuneigte, waren die meisten bester Laune. Viele freuten sich für Emma und ließen ihren eigenen Phantasien von einem Leben ohne Morse Callahan freien Lauf. Emma bahnte sich ihren Weg zu Roger Metz, der in der Mitte der Menge stand und sie bereits erwartete. Er strahlte sie durch seinen üppigen Vollbart hindurch an. Dann gebot er dem Gemurmel mit einer Handbewegung Einhalt. Er war Ende vierzig und verfügte über ein gerüttelt Maß an natürlicher Autorität.
»Ich bin mir bewusst«, begann er, »dass ich euch von eurem Feierabend-Cocktail abhalte, und da ihr das meiste bereits über Lautsprecher gehört habt, fasse ichmich so kurz wie möglich. Es tut mir aufrichtig leid, dass Emma uns verlässt, und ich wünschte, ich hätte sie überzeugen können, bei uns zu bleiben.«
Er legte eine Kunstpause ein. Roger Metz war nicht um Worte verlegen, im Gegenteil, er schien zu viel auf einmal sagen zu wollen. Einen Augenblick lang sah es aus, als wolle er etwas ganz Bestimmtes loswerden, doch dann verriet sein Gesichtsausdruck, dass er sich eines Besseren besonnen hatte.
»Wie immer muss Emma einen Flieger erwischen, deswegen komme ich gleich zum Punkt: Ich danke dir und wünsche dir für deinen weiteren Lebensweg viel Erfolg. Ich werde dich vermissen, und ich weiß, dass ich im Namen
fast
aller hier spreche.«
Wieder machte er eine Pause, diesmal jedoch für die Lacher aus dem Publikum. Emma ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen und sah in erwartungsvolle Gesichter. Sie selbst würde keinen Einzigen von ihnen vermissen.
»Wir, deine Freunde von Morse Callahan, möchten dir ein Geschenk überreichen – als kleines Dankeschön und in der Hoffnung, dass du von Zeit zu Zeit noch einmal an uns denkst.« Er überreichte ihr eine in Silberpapier eingewickelte Schachtel.
Emma packte sie aus und öffnete den Deckel. Zum Vorschein kam eine Uhr von Patek Philippe, die sie einmal im Gespräch mit einer Kollegin erwähnt hatte. Sie suchte deren Gesicht in der Menge und lächelte ihr wissend zu, beeindruckt davon, dass sie sich eine solch beiläufige Bemerkung gemerkt hatte. Dann holte sie tief Luft und begann mit ihrer Rede.
»Das ist wahrscheinlich der
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