Stadt der Schuld
habe ich mal gewagt, das Zimmer zu verlassen, weil mich so ein total besoffener Freier verprügeln wollte. Das, was die Alte danach zur Strafe mit mir angestellt hat, war wesentlich schlimmer, kann ich dir sagen.« Sie schauderte. »Seitdem lass ich mich lieber zusammenschlagen, wenn einer der werten Herren meint, das tun zu müssen.«
Mary starrte sie mit großen Augen an. »Stimmt es«, fragte sie atemlos, »dass sie einen überall findet, wenn man wegläuft?«
»Na, einige haben es jedenfalls versucht, allerdings nicht mehr in jüngster Zeit. Viele von uns sind nicht freiwillig hier, musst du wissen. Mich zum Beispiel hat mein sauberer Ehemann verkauft, das verfluchte Schwein! Die meisten von denen, die fortliefen, hat sie tatsächlich gekriegt, stimmt schon, was sie sagt. Sie hat so ihre Kontakte zu den einflussreichen Verbrecherbanden hier. Einige von den Anführern verkehren auch öfter bei uns und einer davon ist obendrein ihr Sohn. Jedenfalls, den Mädchen ist das nicht gut bekommen. Eine hat man sogar später tot aus dem Kanal gefischt. Natürlich war's keiner gewesen. Aber kann schon sein, dass es die eine oder andere auch geschafft hat, wer weiß, allerdings nicht, seit ich im Haus bin – und ich bin schon drei Jahre hier.« Sie zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Jedenfalls habe ich keine Lust, mir die Kehle aufschlitzen zu lassen. Außerdem ist es hier so schlecht auch nicht. Immerhin haben wir ein Dach über dem Kopf, zu essen und auch anzuziehen und wenn man Glück hat und die Freier ordentlich zufriedenstellt, sind die manchmal auch recht spendabel. Das meiste nimmt uns zwar die Alte ab, aber ich hab mir trotzdem schon was zusammengespart. Wenn ich genug habe, kaufe ich mich bei der alten Hexe frei und mach meinen eigenen Laden auf.« Sie öffnete eine Tür am anderen Ende der Galerie. Der Raum roch muffig nach getragener Kleidung. Überall lagen bunte, abgetragene Kleider, Schuhe und andere Habseligkeiten herum. Doch Mary entdeckte auch das eine oder andere wirklich beeindruckende Kleidungsstück.
»Finger weg«, befahl Edna, »du schmierst sonst alles voll mit deinem Blut. Das geht so schlecht raus.«
Mary gehorchte sofort. Dass sie hier Folge zu leisten hatte, war ihr inzwischen mehr als klar. Sie würde nicht noch einmal aufbegehren. »Von wem sind denn die ganzen Kleider?«, fragte sie stattdessen. Edna schnalzte mit der Zunge. »Das sind die Hinterlassenschaften von Ehemaligen. Mrs Friwell beschäftigt hier nur junge, ansehnliche und vor allem gesunde Huren. Da achtet sie peinlich drauf. Schließlich ist das ja eines der besseren Häuser in Manchester. Wer krank oder nicht mehr nachgefragt wird, fliegt gnadenlos raus. Sie unterhält noch zwei Hurenhäuser in den Arbeitervierteln, dahin schiebt sie dann die ab, die's hier nicht mehr bringen, sofern sie noch einigermaßen zu gebrauchen sind. Allerdings, wer krank wird, kann gleich sehen, wo er bleibt.«
»Krank?«
Edna verdrehte die Augen und begann, mit flinker Hand die Kleidungsstücke zu durchsuchen. »Na, du bist ja wirklich ein Lämmchen. Wer sich die Franzosenkrankheit einfängt, eben. Syphilis heißt das, zumindest sagt das der Arzt, der uns immer begutachtet. Der kommt einmal im Monat. Die Alte will es so – und wehe derjenigen, die sich dann angesteckt hat. Die kann gleich ihre Sachen packen. Esther hat's letzte Woche erwischt. Die Arme hat sich fast die Augen aus dem Kopf geheult, aber die Friwell hat sie ohne Gnade vor die Tür gesetzt. Also pass auf deine Muschi auf, klar? Allerdings, Fieber oder Husten duldet sie auch nicht sehr lange. Wer nicht arbeiten kann, wird nicht durchgefüttert, sagt sie immer. Ein, zwei Tage geht schon, aber dann muss man wieder ran.«
Edna drehte sich zu Mary um und sah sie spöttisch an. »Tja, das hättest du dir vielleicht besser überlegen sollen, bevor du dich von diesem Ashworth hast durchpflügen lassen, Kleine. Für einen wie den ist ja doch nur dein Schlitz interessant.«
Mary ließ den Kopf hängen. Aarons Worte kamen ihr in den Sinn. Nimm dich vor Ashworth in Acht, hatte er sie gewarnt, aber sie hatte es nicht hören wollen. Das hatte sie nun davon! Wogen der Scham überfluteten sie. Edna kam näher und strich ihr überraschenderweise kurz verständnisvoll über den Kopf. »Jetzt heul nicht, du wirst dich hier schon zurechtfinden. Schau, hier ist das Kleid, und jetzt gehen wir hoch und ich zeig dir, wie du dein Gesicht wieder in eine ansehnliche Form schminken kannst. Schließlich
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