Stadt der Schuld
neben einem Toten. Bei dir selbst fehlte auch nicht mehr viel.«
»Dean! Ist er wirklich tot?«
»Wenn ich es doch sage. Unhaltbare Zustände sind das dort. Hoffentlich bin ich nie wieder gezwungen, einen Fuß in eines dieser grauenvollen Gefängnisse zu setzen und schon gar nicht in dieses.«
Aaron sagte nichts darauf. Eine Flut von Bildern schwappte durch seinen Kopf, wirr, zusammenhanglos. Da war das glühende Feuer in seinem Körper, seinem Kopf ... das verzweifelte Ringen seiner Lungen nach Luft ... die fensterlosen Mauern des Kerkers, die unerbittlich auf ihn zukamen, ihn zu ersticken drohten. Cathys erschrockener Blick ... die Wut, die er empfunden hatte ... er hatte sie angeschrien, wüst beschimpft. Hatte er nicht sogar um sich geschlagen? In seiner Brust begann es wild zu klopfen. Er erinnerte sich nicht mehr, oder wollte er es nicht? Jetzt war da Leere, Schwärze. Wie, zum Teufel, war er bloß hierhergekommen? »Cathy, meine Frau, wo ist sie?«
»Das braucht jetzt nicht deine Sorge sein. Es ist alles in bester Ordnung.«
»Wann kann ich nach Hause?«
Die Miene der Frau war eisig. »Das wird leider nicht möglich sein, Aaron Stanton. Das, was du dein Zuhause nennst, gibt es nicht mehr. Auch ist es dir ausdrücklich verboten, nach Manchester zurückzukehren. Dein Zuhause und dein zukünftiger Arbeitsplatz sind jetzt hier in Moston Park. Ich wünsche keine Diskussion darüber! Das habe ich auch deiner Frau klargemacht.«
»Aber ... ich verstehe nicht«, stöhnte Aaron. Sein Kopf schmerzte wieder unerträglich. Wenn sie ihn doch nur endlich in Ruhe lassen würde! Cathy!
Mrs Ashworth seufzte theatralisch. »Du kannst dich offenbar wirklich an gar nichts mehr erinnern. Aber das ist auch nicht verwunderlich. Du warst schließlich bewusstlos, als man dich aus dem Gefängnis in meine Kutsche trug. Davor hast du dich allerdings aufgeführt wie ein Wahnsinniger. Nun, das mag dem Fieber geschuldet sein, hoffen wir es zumindest. Der Arzt, den ich hinzugezogen hatte, sprach von einer schweren Lungenentzündung. Es war jedenfalls fast ein kleines Wunder, dass der oberste Magistrat der Stadt, der mich begleitete, sich nach diesem Aufstand noch zu deiner Freilassung bereit erklärte. Es hat mich viel Überredungskunst gekostet. Du solltest dankbar dafür sein.«
»Heißt das, ich bin frei? Ich werde nicht mehr vor Gericht gestellt?«
»Zumindest wurde die Anklage bis auf Weiteres fallen gelassen. Allerdings besteht die strenge Auflage, dass du unter meiner Aufsicht bleibst. Außerdem ist es dir unter Androhung schwerer Strafe untersagt, auch nur den Versuch zu wagen, noch einmal nach Manchester zurückzukehren oder mit den Chartisten Kontakt aufzunehmen. Ich rate dir, dich daran zu halten. Am besten, du lässt all das hinter dir, das ist vorbei.« Sie legte die Hand erneut auf seine Brust, als wolle sie sich seiner versichern.
Aaron war vollkommen durcheinander. Das alles fühlte sich unwirklich und fremd an: Die weichen Kissen mit den seidenen Bezügen, in die man ihn gebettet hatte, die edlen Möbel in dem großen Zimmer, diese Frau, die ihn ansprach und betatschte, als bestünde ein Verhältnis zwischen ihnen, als sei er ihr Eigentum ...
Angewidert wandte er sich ab und schloss die Augen. Warum war er nicht einfach gestorben wie Dean?
Mrs Ashworth stellte die Suppenschüssel auf dem Nachttisch ab. »Es wird sicher besser sein, du ruhst dich noch einige Tage aus. Sobald es dir besser geht, werden wir weitersehen. Es wird dir hier gewiss gefallen.«
Warum hatte Cathy nicht auf ihn gehört?
***
»Ich hoffe, die Wohnung ist ausreichend«, sagte Mary-Ann Fountley, »leider konnten wir kein besseres Haus finden für die Schule.« Sie hob bedauernd die Schultern. »Von Seiten des Magistrats brachte man meinen Plänen nicht allzu viel Zutrauen entgegen. Das wird sich aber sicher bald ändern, wenn die Verantwortlichen sehen, wie segensreich das für die Kinder der Arbeiter ist.«
Cathy nickte. »Gewiss, Mrs Fountley, machen Sie sich keine Gedanken. Im Gegenteil, es ist mehr, als ich erwarten durfte, und wird uns vollauf genügen.«
»Einen Teil Ihres Gehalts werde ich für die Miete abziehen müssen, aber es bleiben Ihnen immer noch ein Pfund und sechs Schillinge die Woche. Einen Vorschuss für die Einrichtung werde ich Ihnen auch geben. Reichen Ihnen fünf Pfund?«
»Das ist wirklich außerordentlich großzügig. Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Gut!« Mary-Ann Fountley lächelte sie strahlend an. »Ach, Mrs
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