Stadt der Schuld
hätte es mir denken können. Wir werden sehen, ob ich geneigt bin zu helfen. Du und deine Brut, ihr scheint doch ständig Arger zu machen.«
Cathy schluckte. Das klang nicht eben freundlich.
»Mrs Ashworth, es ist mir bewusst, dass das so aussehen muss, aber glauben Sie mir, es handelt sich um etwas anderes, gleichwohl tatsächlich nicht sehr Angenehmes. Es tut mir leid.«
Wieder ein gereiztes Seufzen seitens ihres Gegenübers. »Um was geht es also? Ich habe eigentlich weder Zeit noch Neigung, mich mit den Problemen der Arbeiterschaft meines Mannes zu befassen. Das geht mich nichts an. Überhaupt ... warum wendest du dich an mich und nicht an meinen Mann? Schließlich arbeitet ihr doch für ihn.«
»Seit Klein-Mary auf die Welt kam, war ich nicht mehr in der Fabrik«, versuchte Cathy zu erklären, »und nun sind sehr schlimme Dinge geschehen. Dinge, an denen Mr Ashworth leider nicht unbeteiligt ist, und die uns in eine aussichtslose Situation gebracht haben. Ich hoffte, Sie würden sich für uns einsetzen ...«
Mrs Ashworth fuhr ärgerlich auf. »Was? Was redest du da? Was hat Henry, dieser elende Dummkopf, nun wieder angestellt?«
Cathy wunderte sich, dass diese Dame in ihrer Gegenwart so abfällig von ihrem Gatten sprach, aber das war vielleicht auch ein gutes Zeichen. »Ich weiß ...«, begann sie vorsichtig, es kam jetzt wirklich auf jedes Wort an, »dass Sie sehr erbost waren über das Verhältnis, das zwischen Ihrem Ehemann und dem Mädchen Mary bestand.«
Tatsächlich stand Mrs Ashworth jetzt auf und begann im Raum umherzugehen. Sie wirkte sehr erregt. »Allerdings«, schnarrte sie.
»Mary bereut es auch zutiefst. Sie würde es gerne ungeschehen machen, wenn sie könnte.«
Mrs Ashworth wandte ihr den Blick zu. Wut verzerrte ihre welken Gesichtszüge. »Die Reue kommt für meinen Geschmack zu spät. Ich habe für diese kleine Hure nicht das geringste Verständnis.«
»Vielleicht sollten Sie das aber haben, Mrs Ashworth«, wandte Cathy ein. »Sicher, Mary hat alles andere als klug gehandelt, aber sie ist doch fast noch ein Kind. Zudem hatte sie in der letzten Zeit harte Schicksalsschläge zu verkraften. Der Vater starb elendiglich und die Mutter hat sie und ihre beiden Geschwister daraufhin im Stich gelassen. Ist es da ein Wunder, dass sie auf die Avancen eines Mannes hereinfiel, der an Jahren ihr Vater sein könnte, und der obendrein ihr Arbeitgeber war? Und wie hätte sie sich ihm auch verweigern sollen, Madam?«
»Was weiß ich, sie hätte es eben nicht tun dürfen!«, fauchte Mrs Ashworth.
»Wissen Sie, was mit ihr geschehen ist, nachdem Sie verständlicherweise von Ihrem Ehemann verlangten, dass er das Kind fortschickt?«
»Nein, und es interessiert mich auch nicht!«
»Ich werde es Ihnen aber trotzdem sagen, Mrs Ashworth. Ihr Ehemann hat Mary gegen ihren Willen in ein Bordell gesteckt. Nur um sich weiter ungehindert an ihr vergreifen zu können, ohne dass Sie etwas davon mitbekommen.« Mrs Ashworth blieb abrupt stehen und starrte sie an, doch Cathy fuhr tapfer fort: »In ein Bordell, in dem er anscheinend häufig verkehrt und das von einer wahren Hexe geführt wird, die obendrein beste Verbindung zur Unterwelt Manchesters hat. Er wollte Mary dieser schrecklichen Frau sogar verkaufen.«
»Ach ja? Nun, das geschieht dieser kleinen Schlampe recht«, versetzte Mrs Ashworth bissig, ging zum Fenster und blickte störrisch hinaus in den Park. Ihre Silhouette vor dem Fenster bebte ein wenig. Schweigen lastete für einen kurzen Augenblick im Raum, während die einbrechende Dämmerung im Park bereits lange Schatten zwischen den Bäumen warf.
»Geschah es Mary wirklich recht, dass man sie dort missbrauchte, schlug und dass einer dieser verrohten Menschen sie gar mit dem Tode bedrohte? Hatte sie das wirklich verdient?«, fragte Cathy leise.
Keine Antwort, doch Cathy ließ sich nicht beirren. »Ich denke nicht, dass das Mädchen das verdiente. Und das glaubte auch mein Mann Aaron nicht. Deshalb ist er dort eingedrungen und hat versucht, Mary aus den Klauen dieser Leute zu befreien – und vor allem aus den Klauen Ihres Ehemannes, Mrs Ashworth. Ja, auch der war dort und hat sich ohne Rücksicht auf die widerlichste Weise an Mary vergangen, genauso wie die anderen.« Cathy ließ sich nicht dadurch schrecken, dass die Frau jetzt jäh herumfuhr und sie mit einem zu einer wütenden Grimasse verzerrten Gesicht fixierte. Ruhig setzte sie ihren Bericht fort. »Aaron ist es nicht gelungen, Mary zu befreien.
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