Stadt der Schuld
Er musste ihr nichts beweisen, nichts erklären, er war zu Hause. Endlich wieder zu Hause.
Aaron erwachte aus traumlosem Schlaf, weil er spürte, wie Cathy sich neben ihm zu regen begann. Es war noch immer Nacht, aber der Mond schien nicht mehr durch das Fenster. »Ich wollte dich nicht wecken, Liebster, aber ich muss zurück. Die Kinder werden sich sorgen und Klein-Mary braucht mich.«
»Ja, geh nur.« Er streichelte sie liebevoll. »Ich liebe dich so sehr, Cathy«, sagte er und bei Gott, er meinte, was er sagte, mit der ganzen Kraft seines Herzens.
»Hör zu, Aaron«, sagte Cathy, während sie rasch in ihren Rock schlüpfte. Ihr Blick war ernst und seltsam entschlossen. »Wir müssen eine Lösung für unser Problem finden. Wir können nicht in Manchester bleiben. Du weißt, dass der Magistrat dir bei Strafe verboten hat, zurückzukehren.«
Aaron seufzte schwer. »Das weiß ich allerdings nur zu gut. Ich habe dich nie in Gefahr bringen wollen, glaub mir. Ich wollte mich nur ein paar Tage bei Liam verkriechen, bis sich die Aufregung wegen diesem Schwein Miller wieder gelegt hat. Waren sie schon bei dir deshalb?«
»Nein, warum?« Cathy sah ihn fragend mit großen Augen an.
»Nicht? Das ist seltsam. Ich hatte geglaubt, du wärest die erste Anlaufstelle für die Polizei. Deodra wird es bestimmt angezeigt haben, dass ich den Kerl fast umgebracht habe und dann fortgelaufen bin.«
»Oh!« Cathy senkte den Blick. »So hast du es ihm vergolten.«
»Ja!«, sagte Aaron mit erstickter Stimme.
Rasch setzte sich Cathy zu ihm auf die Bettkante und legte beruhigend die Hand auf seine Brust. »Denk nicht mehr daran, Aaron. Es ist vorbei. Wir werden nicht mehr davor reden. Vielleicht hat sie auch nichts gesagt. Das vermute ich fast, denn eine Anzeige würde zu Nachfragen führen, die ihr nicht recht sein können, glaube mir. Auch Deodra Ashworth hat ein Interesse daran, Stillschweigen über die Dinge, die mit dir zu tun haben, zu bewahren. Sie könnte sonst in Erklärungsnot geraten.«
Aaron blickte zweifelnd zu ihr auf. »Glaubst du?«
»Ja, und da ist noch etwas.«
»Was?«
»Isobel war vor wenigen Tagen hier in der Schule – mit der nichtsahnenden Mary-Ann Fountley – und sie hat mich natürlich sofort erkannt.«
»Oh Gott!«
»Es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Ich habe einfach vehement geleugnet, sie zu kennen. Lady Fountley glaubt nun, dass es sich um eine unglückliche Verwechslung handelt, nun ja, vielleicht glaubt sie es auch nicht wirklich. Sie schätzt mich sehr und will mich wohl nicht als Lehrerin verlieren. Aber ich fürchte, ich werde dieses angebliche Missverständnis nun leider doch aufklären müssen.«
»Was meinst du damit?«, fragte Aaron verständnislos und sah seine Frau alarmiert an. Was um alles in der Welt hatte sie vor? Sie wirkte ungeheuer entschlossen, geradezu, als ob sie in eine Schlacht zöge, während sie ihr Schultertuch umlegte.
Cathy lächelte ihm flüchtig zu. »Mach dir keine Sorgen, Aaron. Es wird sicher alles gut werden. Ich schicke nachher William zu dir mit etwas zu essen. Schlaf noch ein wenig, Liebster, das tut dir gut.«
Aaron nickte folgsam, war aber nur wenig beruhigt. Tatsächlich fühlte er sich noch sehr matt, aber es war ihm nicht recht, dass Cathy sich nun allen Problemen, die sich vor ihnen auftürmten, allein stellen musste. Er war ihr wirklich keine Hilfe. »Pass bitte auf dich auf, mein Herz. Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren.«
Sie sah ihn fest an. »Gewiss nicht, mein Liebster!« Dann verließ sie mit raschen Schritten die kleine Kammer.
***
Das Hausmädchen knickste, hüstelte leise und riss Mary-Ann damit aus der Lektüre von Carlyles Sartor Resartus, einer der frühen Veröffentlichungen dieses engagierten Autors. Cobden selbst hatte es ihr begeistert empfohlen, aber trotz aller Mühen konnte sie dem Buch nicht allzu viel abgewinnen. Sie war also nicht erbost darüber, bei ihrer täglichen Lektüre gestört zu werden. »Was gibt es, Hillary?«
»Mylady, draußen wartet eine junge Frau. Sie wünscht dringend mit Ihnen zu sprechen, sie sagt, sie sei die Lehrerin an ihrer Schule.«
Mary-Ann hob überrascht die Augenbrauen und legte das Buch beiseite. »Mrs Stanton? Sie sollte doch jetzt eigentlich unterrichten. Was macht sie hier?« Ein übler Verdacht stieg in ihr auf. Dieser Vorfall mit Isobel und deren anschließende, wenig glaubwürdige Versicherung, es habe sich tatsächlich nur um eine Verwechslung gehandelt, hatten ihr
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