Stadt der Schuld
und dieses verlogene Biest auch noch nutznießt von seiner selbstlosen Hilfe ...« Wütend ballte sie ihre rechte Hand zur Faust. »Nein, das kann ich nicht zulassen. Das geht einfach zu weit.«
»Wie wollen Sie es noch verhindern?«
»Ich werde hinfahren!«
»Nach London?«
»Ja, gewiss! Glauben Sie denn, Cathy, mein Gatte würde es mir verzeihen, wenn ich ihn über diese schrecklichen Dinge, die Isobel getan hat, im Ungewissen ließe? Sie kennen ihn nicht, er liebt die Gerechtigkeit über alles.«
»Dann sollte er auch seinen Umgang mit Mr Ashworth überdenken!«, bemerkte Cathy trocken.
»Oh ja, das wird er allerdings und ich den mit Deodra. Mein Gott, ist die Welt denn nur noch voller Bosheit? Ich möchte speien, wenn ich daran denke, wie diese Person mich benutzt hat, mich belogen hat, was sie getan hat ...« Mary-Ann hielt plötzlich in ihrer Tirade inne. »Ach, verzeihen Sie mir, Cathy, ich denke nur an mich. Wie kann ich Ihnen und Ihrer Familie helfen?«
Cathy erhob sich. »Es fällt mir schwer, Sie darum zu bitten, Mary-Ann. Es ist nicht meine Art zu betteln, aber es geht jetzt um meinen Mann und um meine Familie – und dazu zähle ich die drei armen McGillan-Waisen genauso. Ich würde sie nie im Stich lassen, nie!«
»Ich weiß«, sagte Mary-Ann schnell und trat zu ihr. »Brauchen Sie Geld, Cathy? Zögern Sie doch nicht. Ich will Ihnen und den Ihren gerne helfen. Wie viel?«
»Dreißig Pfund wären sehr hilfreich. Ich habe auch das meiste von meinem Verdienst als Lehrerin zurückgelegt. Es ist so, Mrs Fountley Mary-Ann: Ich sehe keinen anderen Weg, als dass wir das Land verlassen. Noch konnte ich es mit Aaron nicht besprechen, er war einfach zu krank, aber in Manchester können wir aus den bekannten Gründen ohnehin nicht bleiben. Ich kann aber auch nicht von ihm verlangen, sich so wie in der Vergangenheit weiter in irgendeiner dieser Fabriken für uns zu quälen, sei es in Birmingham oder London oder irgendeiner anderen Stadt. Er würde daran zugrunde gehen, wie wir alle. Außerdem, es ist doch überall dasselbe Elend. Es bleibt uns einfach nichts anderes übrig, als auszuwandern. Verstehen Sie, Mary-Ann? Wir brauchen doch nur eine reelle Chance! Wir wollen endlich wie Menschen leben und unser Glück selbst in die Hand nehmen, weiter nichts. Das ist alles, worum ich bitte.«
»Auswandern?« Mary-Ann stutzte ob der Kühnheit des Gedankens, aber dann nickte sie. »Ja, vielleicht ist das der beste Weg. Und wenn ich mit einer solchen Kleinigkeit wie Geld Ihnen und Ihrer Familie den Start in dieses neue Leben erleichtern kann, dann will ich das gerne und von Herzen tun. Auch wenn das heißt, dass ich mir eine neue Lehrerin suchen muss.«
»Dann helfen Sie uns?
»Gewiss, das ist doch keine Frage«, bekräftigte Mary-Ann herzlich und drückte kurz die Hand ihrer neuen Freundin. »Und jetzt werde ich alle Hebel in Bewegung setzen, um noch rechtzeitig vor der Verhandlung gegen Horace Havisham nach London zu gelangen. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.«
Kapitel 48
London, High Court,
am späten Vormittag des 8. März 1841
Kapitel 48
Der Saal war bereits zwei Stunden vor Beginn der Verhandlung zum Bersten gefüllt gewesen. Zeitungsreporter, selbst solche aus Edinburgh und Birmingham, waren angereist und drängten sich rüde unter die Zuschauer, die sowohl der Unter- wie auch der Oberschicht entstammten. Das englische Gesetz sah vor, dass jedem das Recht zur Teilnahme an einem öffentlichen Prozess zu gewähren war. Inspector Hunt sah sich aufgrund dieses Umstandes seinerseits gezwungen, sich mit wohlgezielten Hieben in die Nacken- und Rückenpartien der Schaulustigen einen Weg zur Anklagebank zu verschaffen, an dem bereits der Staatsanwalt sowie als Nebenkläger die Ehefrau des Beklagten und ihr Verwandter, der hochgeachtete Barrister und angehende Baron of Tounton, the right honourable Godfrey Fountley, Platz genommen hatten.
»Ist er endlich eingetroffen?«, fragte Isobel nervös, noch bevor der Staatsanwalt Mr Aldwin Nigel, dem die Frage nach dem so dringend erwarteten Zeugen Armindale eigentlich zugestanden hätte, auch nur den Mund öffnen konnte. Wütend starrte dieser sie daraufhin an, aber es war ihr gleich. Schließlich ging es hier um nichts weniger als Sieg oder Niederlage für sie und zwar auf ganzer Linie.
Hunt schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich kann mir auch nicht erklären, was da passiert sein kann. Er war doch über den Termin informiert.«
»Dieser Dummkopf!«, zischte
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