Stadt der Schuld
Misstrauen erregt. Nur um des lieben Friedens willen hatte sie die Sache auf sich beruhen lassen. Sie war sich sicher, dass Isobel und ihre geschätzte Lehrerin sich im Gegenteil nur zu gut kannten. Nur was steckte hinter dieser merkwürdigen Angelegenheit und warum log Cathy Stanton, obwohl das doch sonst nicht ihre Art war? Tatsächlich empfand Mary-Ann seit diesem Vorfall eine schmerzliche Enttäuschung, wenn sie an die junge Frau dachte – und das war nicht nur der kühlen Reserviertheit von Mrs Bentley geschuldet, die diese als Folge des Vorfalls verständlicherweise an den Tag gelegt hatte. »Nun gut, Hillary«, sie erhob sich von ihrem Leseplatz beim Fenster, »führe Mrs Stanton in den kleinen Salon, ich werde sofort hinunterkommen.«
»Mylady!« Cathy knickste höflich, als Mary-Ann in den Salon trat. Mary-Ann bedachte sie dennoch mit einem kritischen Blick. »Nun, Mrs Stanton – falls das wirklich Ihr Name ist –, was führt Sie hierher? Ich muss gestehen, ich sehe es nicht gerne, dass Sie Ihre Unterrichtspflichten vernachlässigen, nur um mich hier in Queens Park aufzusuchen.«
Ihr Gast richtete sich auf. »Dessen bin ich mir vollauf bewusst, Mylady, aber es sind gewisse Umstände eingetreten, die mein Handeln in dieser Sache ausreichend erklären werden.«
»Hm!« Mary-Ann setzte sich, ohne ihrer Besucherin einen Platz anzubieten. Eine gewisse Verärgerung hatte sie erfasst, die sich noch dadurch verstärkte, dass ihr gleichzeitig bewusst wurde, dass sich ihr Zorn und ihre Enttäuschung über Cathy Stanton vor allem dadurch begründete, dass sie in den vergangenen Wochen fast so etwas wie freundschaftliche Zuneigung für die schweigsame, junge Frau entwickelt hatte.
Diese legte die Hände ineinander und blickte ihr gerade in die Augen. »Sie haben recht, Mylady, mein Name ist nicht Stanton, sondern – wie Isobel Havisham gesagt hat – Cathleen Stutter, Ehefrau von Aaron Stutter, der tatsächlich aufgrund einer Anzeige Ihrer Cousine von der Polizei gesucht wird.«
Mary-Ann starrte ihr Gegenüber ob dieser prompten und unverblümten Eröffnung überrascht an, doch sie fasste sich schnell. »Dann hat meine Verwandte also die Wahrheit gesagt und Sie haben gelogen«, stellte sie in scharfem Ton fest. »Ich muss leider zugeben, ich bin auf gewisse Weise enttäuscht, wenn ich auch schon etwas in dieser Richtung erwartet hatte. Was haben Sie und Ihr Ehemann also mit Isobel Havisham zu schaffen?«
Cathy Stanton, oder vielmehr Stutter, ließ sich von Mary-Anns strengen Worten nicht beirren. »Mylady, es ist mein aufrichtiges Anliegen, Ihnen die Umstände, die dieser unseligen Geschichte zugrunde liegen, so wahrheitsgemäß wie nur irgend möglich zu berichten. Bitte, glauben Sie mir, Ma'am, es liegt mir fern, Sie zu belügen«, fügte sie mit eindringlicher Stimme an, »und es lag auch an diesem Tag nicht in meiner Absicht, aber ich konnte einfach nicht anders handeln. Wenn ich Ihnen alles berichtet habe, werden Sie es verstehen.«
»Also gut!« Mary-Ann räusperte sich vernehmlich, um ihre Anspannung zu verbergen. Oh ja, sie wollte wirklich gerne den Grund für all das erfahren, denn die Vorstellung, von Cathy Stutter, der sie vertraut hatte, getäuscht worden zu sein, schmerzte sie mehr, als sie zugeben wollte. »Setzen Sie sich und berichten Sie. Ich verspreche, ich werde Ihnen zuhören und Ihre Worte sorgfältig abwägen.«
Ein kleines, dankbares Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau und ließ ihre bemerkenswerte Schönheit aufstrahlen. »Nur das hatte ich erhofft«, sagte sie leise. »Ich bin mir sicher, dass Sie gerecht urteilen werden, Mrs Fountley ...«
Einen langen Bericht später schritt Mary-Ann aufgebracht im Salon auf und ab. »Das ist ganz und gar ungeheuerlich«, keuchte sie, »geradezu entsetzlich! Ich kann es nicht glauben. Mrs Stutter, ich ...«
»Bitte, sagen Sie doch Cathy zu mir!«
Mary-Ann eilte rasch zu ihrer Besucherin hinüber und ergriff deren Hand. »Gewiss! Also dann: Cathy! Wir wollen Freundinnen sein, ja?«
»Das waren Sie mir von Anfang an, Mylady. Ich wusste, Sie würden mich anhören.«
»Mary-Ann, nennen Sie mich bitte Mary-Ann, Cathy, und ja, ich bin Ihre Freundin«, sagte Mary-Ann warm. Doch dann hielt es sie nicht mehr auf ihrem Platz. »Isobel, dieses schreckliche Geschöpf. Ich wusste ja genau, dass sie boshaft ist, aber das ...! Ich kann es einfach nicht glauben! Wenn ich daran denke, dass Godfrey sich nun in London für sie einsetzt vor Gericht
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