Stadt der Schuld
andere Unternehmen in der Stadt – eher sogar besser –, aber das interessierte die Presse nicht. Jedenfalls war Ashworth mehr als erbost gewesen, um nicht zu sagen fuchsteufelswild, und hatte seinen Zorn über ihn, den Vorarbeiter, geraume Zeit ausgeschüttet. Ein Wunder, dass bei dem Gebrüll die Fensterscheiben heil geblieben waren. Dabei konnte er doch nun wirklich nichts dafür, wenn die dummen Weiber mit ihren Kleidern in die Maschinen gerissen wurden. Der große Raum war vollgestopft mit Maschinen, um angesichts der stetig fallenden Preise für das Garn die Produktionsleistung zu steigern. Die Abstände dazwischen waren viel zu eng! Da konnte es eben nicht ausbleiben, dass etwas passierte. Trotz schlich sich unvermittelt in Boles dunkle Augen. Rasch wandte er den Blick ab und schnauzte stattdessen die Frauen an: »Was steht ihr hier herum? Macht euch gefälligst wieder an die Arbeit!« Es widerte ihn an, dass sie Zeuginnen davon werden könnten, wie Ashworth ihn abkanzelte. »Und du ...«, er zeigte auf eine der Arbeiterinnen, die immer noch neugierig dabeistanden, »... holst diesen Stanton her. Ich glaube, er arbeitet an einem der Hopper Feeder. Wenn du ihn nicht gleich findest, frag Mr Priestley, verstanden?« Dann drehte er sich wieder zu seinem Arbeitgeber um. Jetzt, da die anderen sich wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgezogen hatten, sah er auch, dass Ashworth noch einen Grund mehr hatte, ihn unbarmherzig zur Verantwortung zu ziehen. Eine nicht eben hübsche, aber offenbar sehr betuchte junge Frau drängte sich an Mr Ashworth und dessen Gemahlin vorbei und beugte sich über die Verletzte. Entsetzen stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Man muss einen Arzt holen, der Arm sieht schrecklich aus! Wie können Sie sagen, es sei nicht so schlimm?! Die arme Frau muss furchtbare Schmerzen haben. Können Sie das nicht sehen?« Der Vorwurf in ihren Worten war nicht zu überhören. Ashworth sah kurz mit einem seltsamen Gesichtsausdruck zu seiner Gattin hinüber, deren Blick sich schlagartig verfinsterte. Dann wandte Ashworth sich wieder Bole zu: »Sie werden mir das zu erklären haben, Bole. Ich möchte Sie, sobald das hier beseitigt ist, umgehend in meinem Büro sprechen.«
»Ja, Sir!«, antwortete Bole furchtsam. War es nun so weit, würde er entlassen werden?
»Mr Ashworth, der Arzt!«, wiederholte die junge Lady mit drängender Stimme.
»Ahm Ma'am, es ist gemeinhin nicht üblich, dass bei Arbeiterunfällen ein Arzt zu Rate gezogen wird. Ärzte sind zu teuer für die Leute hier«, fühlte sich Bole verpflichtet, einzuwenden.
Die Frau richtete sich rasch auf und blickte ihn streng an. Mit der war sicher nicht gut Kirschen essen. »Was soll das heißen? Wird denn dafür keine Sorge von Seiten der Fabrik getragen? Schließlich arbeiten diese Menschen ja für das Unternehmen!« Ihre Miene war eisig geworden. »Mr Ashworth, ich hatte selbstverständlich angenommen, dass Sie sich um eine angemessene Verbesserung der Arbeitsverhältnisse gekümmert haben, wie Sie es auch gegenüber der Edinburgh Review angekündigt hatten ... oh ja, ich habe die Berichterstattung aufmerksam verfolgt. Da Sie meinem Mann als Befürworter von Cobdens Ideen empfohlen worden sind, bin ich – wie auch mein Mann – bisher selbstredend davon ausgegangen, dass es sich bei den Artikeln dort trotz allem um eine böswillige Verzerrung der tatsächlichen Ereignisse handeln musste. Jetzt bin ich mir da allerdings nicht mehr so sicher.«
Ashworth reagierte nervös. Sein Blick wanderte erneut zu seiner Gattin hinüber, die ihn jetzt kühl und abschätzig musterte. Bole ahnte, dass sich noch dunklere Gewitterwolken über ihm zusammenzogen. Seine Tage als Vorarbeiter waren vermutlich spätestens jetzt gezählt.
»Wir hatten seit jenem bedauerlichen Vorfall keine nennenswerten Ereignisse mehr hier, deshalb hat sich die Frage nicht gestellt«, beeilte sich Ashworth, der erbosten Lady mitzuteilen, »allerdings haben wir hier schon vor längerer Zeit eine Küche für die Arbeiter eingerichtet. Etwas, was wirklich nicht jedes Unternehmen in der Stadt vorweisen kann. Schließlich sollen die Leute kräftig genug sein, um die Maschinen zu bedienen.«
»Das ist sehr löblich, aber diese Frau braucht dringend einen Arzt. Jetzt, Mr Ashworth! Und ich gehe davon aus, dass selbstverständlich das Unternehmen für die entstehenden Kosten aufkommen wird, andernfalls sähe ich mich gezwungen, meinem Mann davon zu berichten.« Die Frau fixierte den
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