Stadt der Schuld
sanft. »Ich bin mir der Hochachtung, die Sie für meine Gattin empfinden, bewusst, Mr Havisham, mehr und länger, als Sie vermutlich ahnen.«
Havishams Gesicht rötete sich ungewollt. Hätte er seine Worte doch nur vorsichtiger gewählt! Aber er war seit Tagen ohnehin nur noch ein Nervenbündel, die Beute abgrundtiefer Verzweiflung. Dieser Vorfall mit Meredith hatte ihm in seiner ohnehin angeschlagenen nervlichen Verfassung wirklich den Rest gegeben. Er wusste nicht mehr ein noch aus. Unsicher leckte er sich seine trockenen Lippen. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Mr Baker, es ist nicht so, wie Sie denken.«
»Was soll ich denn falsch verstehen, Mr Havisham?«, fragte Baker noch eine Spur sanfter. In Havisham kroch eisige Furcht hoch. Rupert Baker wusste es, daran bestand kein Zweifel! Er wusste um seine hoffnungslose Liebe zu Meredith. Doch was wollte er dann von ihm? Satisfaktion? Egal! Und wenn dem so wäre! Sollte Baker ihn doch über den Haufen schießen! Doch was war mit Meredith? Es war ihm unerträglich, dass sie womöglich seinetwegen zu leiden hatte. Das durfte nicht geschehen! »Ich ... äh ... ich möchte Ihnen hiermit bei meiner Ehre«, wie klang das Wort hohl in seinen eigenen Ohren!, »... versichern, dass das Verhalten Ihrer Gattin in jedem Punkt absolut untadelig gewesen ist. Es gibt keinen Grund, sie irgendeines Fehlverhaltens zu verdächtigen.«
»Das weiß ich, Mr Havisham!«, sagte Rupert Baker ruhig und sah ihm aufmerksam in die Augen. »Ich weiß aber auch und das deshalb, weil Meredith es mir erzählt hat –, dass Sie beide weit mehr als nur Hochachtung füreinander empfinden.«
Havisham blieb der Mund offen stehen vor Verblüffung über die Direktheit seines Gesprächspartners. »Sie hat es Ihnen erzählt?«, stammelte er. Erst dann wurde ihm plötzlich bewusst, was Baker da eigentlich gerade gesagt hatte: Hegte Meredith etwa auch Gefühle für ihn? Er wagte es nicht zu hoffen und fürchtete es gleichzeitig. In dem Aufruhr, der in ihm tobte, klangen Bakers Worte in ihm nach wie eine helle Glocke. War es möglich? Meredith liebte ihn?
Baker lächelte verständnisvoll. »Mr Havisham, ich glaube, Sie sind sich über die Art der Beziehung, die mich mit Meredith verbindet, nicht wirklich im Klaren.«
Havisham schüttelte langsam den Kopf. Dieses Gespräch war schlicht als »bizarr« zu bezeichnen. Er hätte nie gedacht, dass er sich überhaupt einmal mit Rupert Baker in dieser Weise unterhalten würde. Trotzdem hungerte er nach dem, was Baker ihm zu sagen hatte. Der lehnte sich entspannt zurück, atmete noch einmal tief durch und sagte dann: »Mr Havisham, ich denke, wir sollten ehrlich zueinander sein. Umso mehr, da Sie ja über meine Neigungen«, er machte eine vielsagende Pause, »nur zu gut Bescheid wissen.«
Havishams Gesicht wurde noch röter, als es ohnehin schon war. Er wich dem klaren Blick seines Gegenübers beschämt aus. Dass er diese verfluchten Nachforschungen über Rupert Baker hatte anstellen lassen, bedauerte er inzwischen außerordentlich. Was hatte ihn da nur geritten? Die Gier nach Erfolg? Welch bedauerlicher Fehlschluss! Auf diesen Erfolg hätte er inzwischen nur zu gerne verzichtet – wie auf etliches andere auch.
Doch Baker fuhr unbeirrt fort. Er schien ihm nichts nachzutragen. Erstaunlich! »Meine Verbindung zu Meredith ist nicht so, wie sie zwischen Eheleuten gemeinhin ist. Ich denke, das dürfte keine Überraschung für Sie sein.« Er wartete Havishams Zustimmung nicht ab. »Unbenommen davon hegen wir große Sympathie füreinander.«
»Ich weiß«, flüsterte Havisham entmutigt. Bewies Meredith nicht immer wieder ihre übergroße Loyalität zu diesem Mann? »Sie wollte mir davon erzählen, doch die Gelegenheit hat sich nicht ergeben.«
»Ja, sie hat mir auch davon berichtet.«
»Hat Sie?« Havisham blickte sein Gegenüber erstaunt an. Baker lächelte freundlich. »Aber sicher hat sie das. Meredith und ich haben keine Geheimnisse voreinander.« Er räusperte sich. »Sehen Sie, Mr Havisham, als Meredith zu uns kam, war sie ein zutiefst verletztes und verunsichertes Wesen. Manchmal ist sie das heute noch ...« Er lächelte versonnen. »Ich habe immer gehofft, ich könnte ihr etwas von dieser Verunsicherung abnehmen. Ein wenig ist es mir vielleicht auch gelungen. Sie ist so ein wunderbarer Mensch! Güte, in all ihrer Anmut ja, das ist wohl die treffende Bezeichnung dafür. Ich denke, weil sie selbst so viel Ablehnung in ihrem Leben erfahren musste, hat
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