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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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sie ein großes Verständnis für die Menschen um sie herum, mit all ihren großen und kleinen Fehlern, entwickelt. Sie verurteilt nicht. Niemanden, wissen Sie.«
    Havisham nickte stumm. Wer wusste das besser als er selbst?
    »Nicht, dass sie meinen Umgang begrüßen würde«, setzte Baker unbekümmert fort, »aber sie weiß, dass ich einfach nicht anders kann. Sie weiß, dass es keine Verderbtheit ist, was mich zu anderen Männern zieht, sondern die aufrichtige Empfindung von Liebe.«
    Sein Gegenüber blickte zur Seite. Darüber wollte er nicht sprechen und auch besser nicht nachdenken. Aber angesichts seiner eigenen Taten und Neigungen fiel es ihm schwer, Rupert Baker für seinen Lebenswandel zu verurteilen. Wie könnte er auch?
    »Meredith und ich stehen uns, wie gesagt, sehr nahe«, erklärte Baker weiter, »aber mehr wie Bruder und Schwester. Ich war ihr immer der Bruder, den sie nie hatte und der für sie einstand, wenn meine Mutter, die verständlicherweise wenig begeistert war über den Neuzugang in unserem Hause, sie abweisend behandelte. Sie wiederum war die Erste, der ich meine Neigungen gestand. Ich hatte solche Angst damals, verstand mich selbst nicht, aber sie hat mich verstanden und mir gesagt, dass es nicht böse sein kann, wenn man Liebe für einen anderen Menschen empfindet. Auch wenn andere das nicht so sehen und es verurteilen. Nun, ich denke, ihre eigene Geschichte hat sie das gelehrt.« Er schwieg für einen Moment. »Wie dem auch sei, als ich damals in Schwierigkeiten kam wegen eines Verhältnisses zu einem jungen Mann in Trowbridge, da bot sie meinem schockierten Vater von sich aus an, mich zu ehelichen, um mich zu schützen. Und sie überredete ihn, mich nicht zu verstoßen, wie er es eigentlich tun wollte. Wir heirateten und ich ging kurze Zeit später nach London, da es für meinen Vater eine zu große Belastung bedeutet hätte, mich um sich zu haben. Vor allem, da damals auch die Sache mit meiner Schwester ihn nahezu all seiner Kraft beraubte. Meredith ist ihm auch in diesen schweren Zeiten zur Seite gestanden.«
    »Ja, sie hängt sehr an Ihrem Vater«, bestätigte Havisham, »ich weiß das wohl. Ich kann Ihnen nicht sagen, Mr Baker, wie sehr ich mein eigensüchtiges Handeln, das sich gegen Sie und Ihre Familie – vor allem gegen Ihren Vater – gerichtet hat, bedaure. Bitte verzeihen Sie mir. Ich war ein Narr!«
    »Es gibt nichts zu verzeihen, Mr Havisham!«, sagte Baker. »Sie haben Ihr Wissen über mich nicht verwendet, obwohl Sie es hätten tun können. Und Sie haben uns finanziell sehr geholfen. Dafür stehe ich tief in Ihrer Schuld.«
    Havisham schüttelte hilflos den Kopf.
    »Sie fragen sich sicher, warum ich Sie aufgesucht habe. Nun, um das vorwegzunehmen: Meredith weiß nichts davon. Ich habe mich allerdings, nachdem ich nun seit Tagen mitansehen muss, wie sie sich grämt, entschlossen, selbst – wie sagten Sie vorher noch – die Dinge in die Hand zu nehmen.«
    »Sie grämt sich, sagen Sie? Habe ich sie denn so verletzt? Das lag nicht in meiner Absicht, das versichere ich Ihnen.« Havisham rang die Hände. Das alles tat ihm nicht nur leid, es stürzte ihn in noch größere Verzweiflung.
    »Ich bin überzeugt, dass das nicht in Ihrer Absicht lag, Mr Havisham, aber die Dinge sind nun einmal, wie sie sind. Meredith liebt Sie, wussten Sie das nicht, Mr Havisham?«
    Havisham konnte dem Blick Bakers kaum standhalten. »Ich ... ich hatte keine Ahnung ...«
    »Nein ...! Mr Havisham, bitte antworten Sie aufrichtig: Was empfinden Sie für Meredith?« Havisham spürte, dass nun der Zeitpunkt der Wahrheit gekommen war, unerheblich, ob sich das schickte oder nicht. Den Bereich der Schicklichkeit hatten sie ohnehin längst hinter sich gelassen. »Oh Gott, Baker, Sie wissen es doch längst! Ich liebe Meredith. Ich liebe Ihre Frau! Ich liebe sie so sehr, im Grunde, seit ich sie das erste Mal sah. Sie hat, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, sie hat etwas in mir berührt, von dem ich dachte, ich hätte es längst verloren. Aber das habe ich nicht. Ich bin völlig durcheinander. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe Angst, ihr Schaden zuzufügen. Das wäre schrecklich für mich, bitte glauben Sie mir.«
    Baker beugte sich in seinem Sessel nach vorne. »Ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit, Mr Havisham. Meredith hat recht: Sie sind ein Ehrenmann, trotz der Dinge, die bisher geschehen sind.«
    »Ein Ehrenmann?« Havisham lachte freudlos auf. »Ja, gewiss, der ehrenhafte

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