Stadt der Schuld
fasste er Mut und sprach deutlich und gut vernehmbar: »Ich kann Ihre Enttäuschung gut verstehen. All die guten Argumente, die dem Parlament vorgelegt wurden im letzten Jahr, wurden von diesem achtlos zur Seite gefegt. Und tatsächlich sind die Gründe für diese starrsinnige Ablehnung im Ungleichgewicht der Besetzung des Parlaments zu suchen. Zu viele stammen aus dem grundbesitzenden Adel, selbst im Unterhaus, auch wenn es Anlass zur Hoffnung gibt. Ich weiß darüber sehr genau Bescheid, denn ich bin selbst Sohn eines Barons und werde, so Gott will, dereinst den Titel meines Vaters erben.« Er hielt inne. Es war nicht zu übersehen, dass etliche der Anwesenden den Redner nun mit noch mehr Vorsicht betrachteten. Ein Adeliger in ihren Reihen? Versuchte man sie hier zu unterwandern?
»Was also können wir tun, um diese Situation zu verändern?«, fragte Fountley in die mucksmäuschenstille Menge hinein. »Wir können die herrschende Ordnung nicht im Handstreich verändern, aber wir können sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.«
Vereinzelte Rufe unterbrachen ihn, doch er fuhr tapfer fort: »Es ist der Landbesitz, der darüber entscheidet, wer ins Unterhaus gewählt werden darf. Wir alle wissen das. Das ist der Grund dafür, dass die ländlichen Gebiete des Südens noch über die Städte des Nordens herrschen, obwohl die Realität längst eine andere ist.« Mehr und mehr begann die Menge nun, sich zu regen. Man ahnte, worauf Fountley hinauswollte. Doch Fountley sprach schon weiter. Seine Stimme klang nun sehr eindringlich: »Einige Unternehmer sind diesen Weg bereits gegangen, den ich Ihnen heute vorschlagen will. Und dieser Weg war erfolgreich. Meine Frau hat mir davon berichtet und das brachte uns auf die Idee. Ihre eigene Verwandte ist mit einem solchen Mann verheiratet, der entschlossen und klug diesen Weg beschritt und nun im Unterhaus sitzt und für die Idee des Freihandels kämpft – ein früherer Ladenbesitzer aus Wiltshire, der inzwischen reicher Unternehmer und Grundbesitzer ist.Warum es nicht ihm, warum es nicht anderen, die als Einzelne vor ihm diesen Weg beschritten, gleichtun? Kaufen Sie Land, Gentlemen, erwerben Sie Grundbesitz und verändern Sie damit die Mehrheitsverhältnisse im Parlament! Dann werden die Großgrundbesitzer Ihre Eingaben nicht mehr abschmettern können.« 28 Die Menge brach unmittelbar in erregtes Gemurmel aus. Tatsächlich, das schien ein möglicher Weg zu sein, vielleicht nicht in den nächsten Wochen, aber doch in absehbarer Zeit zum Ziel zu kommen. Ashworth schnalzte mit der Zunge. Das also war der Plan, der dieser naseweisen Mrs Fountley eingefallen war. Gar nicht so dumm, das musste er ehrlich zugeben. Einfach, aber bestechend logisch und effektiv. Er selbst besaß dank der Heirat mit Deodra Moston Park, das für diesen Zweck allemal genügte. Allerdings hatte er keine Zeit, sich für einen Sitz im Parlament zu bewerben, andere mochten aber durchaus geneigt sein, genau das zu tun. Mit seiner Unterstützung konnte man jedenfalls rechnen. Ihm war jedes Mittel recht. Godfrey Fountleys Stimme bahnte sich ein weiteres Mal einen Weg durch die Menge: »Glauben Sie ferner nicht, meine verehrten Anwesenden, dass alle Angehörigen des Adels Ihren Ideen ablehnend gegenüberstehen. Nein, es gibt etliche unter ihnen, die offen sind dafür. Diese gilt es aufzuspüren und zu bestärken in ihrem Bestreben, das Richtige zu tun.« Er wedelte mit einem Schriftstück in seiner Hand. »Vor Kurzem erhielt ich einen Brief eines Freundes von mir, eines jungen Tory, der gewiss noch von sich reden machen wird: William Ewart Gladstone ist sein Name. In diesem Brief schreibt er mir, dass er sich, ungeachtet des politischen Lagers, dem er angehört, künftig für die Ideen des Freihandels einsetzen wird und dass andere es genauso tun werden. Ich selbst bin ebenfalls ein Tory-Mitglied, aber ich versichere Ihnen: Ihr Anliegen ist genauso das meine. Gemeinsam werden wir es schaffen! Gemeinsam werden wir unser Ziel erreichen! Gemeinsam werden wir das Gesicht dieser Welt verändern!« Die Menge brach erneut in Jubel aus. Ashworth schürzte anerkennend die Lippen. Fountley hatte die Anwesenden tatsächlich im Handstreich für sich eingenommen. Er hatte wirklich politisches Talent, dazu als Wirtschaftsanwalt auch die Kenntnisse, seine Vorschläge Realität werden zu lassen. Sicher würden sich etliche der Unternehmer nur zu gerne bei den notwendigen Landkäufen von ihm vertreten und beraten lassen. Durch seine
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