Stadt der Schuld
sie ihn an. »Die Wunde muss unbedingt gereinigt werden und dann verbunden. Sag, Aaron, ist noch mehr geschehen? Was ist mit Tom? Du hast ihn doch nicht etwa ...«
Aaron schüttelte unwillig den Kopf: »Dem geht's auch nicht anders als mir. Tom hatte ein Messer, ich nicht!«
Cathy atmete erleichtert aus. Dann drehte sie sich halb zu Mary um, die in einer dunklen Ecke des Raums an die Wand gelehnt stand und das Geschehen mit verstockter Miene beobachtete. »Mary, kannst du mir dabei helfen? Ich habe noch Verbandszeug, das mir Dr. Bloomsdale für meinen Arm gegeben hat. Auch noch eine Tinktur zur Wundreinigung und Heilung – zum Glück!«
Doch Mary rührte sich nicht und presste eigensinnig die Lippen zusammen. Warum verhält sie sich so merkwürdig?, dachte Cathy kurz irritiert, doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit schon wieder von Aaron in Anspruch genommen, der leise stöhnte. Er hatte offenbar stärkere Schmerzen, als er zugeben wollte.
»Ich kann helfen«, bot sich Debby an. »Ich habe doch auch schon gestern geholfen, als du deinen Verband gewechselt hast, Cathy. Ich fürchte mich nicht – so wie Mary!«, fügte sie hämisch hinzu, wandte sich dabei zu ihrer älteren Schwester um und schnitt ihr eine Grimasse. Mary streckte ihr die Zunge heraus und hockte sich auf den Boden, so als ob sie das alles nichts anginge.
»Ja, gut, Debby!«, stimmte Cathy rasch zu, den Blick schon wieder sorgenvoll auf den tatsächlich nicht unerheblichen Schnitt gerichtet, der sich über Aarons Oberbauch auf eine Länge von etwa sechs Inch 29 zog. »Du bist ein gutes Mädchen! Was täte ich nur ohne dich?«
Aus Marys Ecke war ein verächtliches Schnauben zu hören. »Ach, das ist nur ein Kratzer!«, wehrte Aaron mit zusammengebissenen Zähnen unwillig ab.
Doch Cathys strenger Blick führte dazu, dass er sich umgehend fügte. Wenn die Wunde sich entzündete, konnte das schlimme Folgen haben. Und sie konnten es sich einfach nicht leisten, dass er krank wurde und ausfiel. Ergeben ließ er die Bemühungen der beiden über sich ergehen.
»Warum hast du dich denn mit Tom geprügelt?«, wollte Cathy wissen, während sie Blut von Aarons aufgeplatzter Lippe tupfte. »Das scheint mir doch eine recht heftige Auseinandersetzung gewesen zu sein.«
Aaron zuckte zusammen, als die Tinktur in die Wunde drang. Das Zeug brannte höllisch! »Der Schweinehund hat Lügen über mich verbreitet!«, nuschelte er undeutlich.
»Lügen? Was für Lügen? Ich weiß ja, dass du Tom nicht leiden kannst. Ich auch nicht! Aber was sollte er für Lügen über dich verbreiten?«
Da packte Aaron plötzlich ihre Hand, hielt sie fest und sah sie eindringlich an. »Cathy, ich muss dir etwas sagen.«
Sie wurde eine Spur blasser. »Was?«
»Ashworth will mich ab morgen zu den Heizern stecken!«
»Zu den Heizern ...?!« Cathy wich jäh zurück. »Aber warum denn nur, Aaron? Ich dachte, er wollte dir die Stelle als Transportmeister geben. Ich dachte ...«
Aaron lachte hasserfüllt auf. »Ja, das dachte ich auch. Aber irgendjemand hat ihm weisgemacht, ich wäre nicht loyal ihm gegenüber!«
»Nicht loyal? Was will er damit sagen? Du hast dir doch nichts zuschulden kommen lassen!«
»Was heißt ›loyal‹?«, wollte nun auch William wissen.
Aaron wandte sich ihm zu, Bitterkeit in den Augen: »Das heißt, mein Junge, dass Mr Ashworth der Ansicht ist, dass ich nicht genug vor ihm krieche.«
»Hast du dich deshalb mit Tom geprügelt? Hat er etwas damit zu tun?«, fragte Cathy mit zitternder Stimme. Aaron merkte deutlich, dass sie versuchte, ihm ihre Fassungslosigkeit nicht zu zeigen, aber es gelang ihr nicht. Zu sehr hatten sie in den letzten Tagen auf die sich abzeichnende Chance gehofft.
Aaron lehnte sich stöhnend auf dem Stuhl zurück. Der Schnitt plagte ihn sehr und brannte wie Feuer. »Ich gehe davon aus, obwohl er es bestreitet. Aber Tom lügt, wenn er den Mund aufmacht.« Er fuhr sich erschöpft über die Augen. »Du weißt, wie eifersüchtig er war, dass Wheaton mir die Stelle vermachen wollte. Hat es mir einfach nicht gegönnt. Ich denke, dass er mich irgendwo angeschwärzt hat. Hat wohl erzählt, ich wäre bei den Chartisten aktiv oder etwas in der Art. Jeder weiß, dass die ein rotes Tuch für die Unternehmer sind. Wer bei denen mitmischt oder bei den Gewerkschaften, ist ihnen zutiefst suspekt.« Er lachte spöttisch. »Pah, als ob ich mir die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft leisten könnte! Hab doch keinen Penny, den ich denen geben könnte
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