Stadt der Schuld
für ihre dummen Mitgliedsbeiträge.«
»Hat Mr Ashworth das behauptet?«, fragte Cathy entsetzt.
»Nein, nicht direkt«, gab Aaron zu, »aber er faselte etwas davon, dass ihm zu Ohren gekommen sei, ich würde ihn infrage stellen. Und das stünde mir nicht zu. Er schien ziemlich erbost deshalb. Ich kann es mir nicht anders erklären, als dass Tom dahintersteckt. Wer sonst könnte es sein?«
Cathy seufzte. »Das ist schlimm!« Ihre Stimme schwankte ein wenig. »Ich hatte so gehofft ...« Das Kleine begann plötzlich, zu greinen. Sie ging rasch hinüber zu dem länglichen Weidenkorb, in den das Neugeborene kurz zuvor von ihr gebettet worden war, und streichelte es ein wenig. Das Weinen verstummte wieder und sie sah auf. »Doch wir werden uns deshalb nicht unterkriegen lassen, nicht wahr?« Sie blickte entschlossen in die Runde. »Wenn wir alle zusammenhelfen, werden wir es trotzdem schaffen! Ich muss eben schneller wieder gesund werden und arbeiten gehen. Und Debby wird mir Klein-Mary bringen und in der Zwischenzeit auf sie aufpassen, wenn ich arbeiten muss, nicht wahr, Debby? Und bis dahin werden wir eben sehr sparen müssen.«
Debby nickte eifrig. Sie mochte das Baby und würde es gerne hüten. »Es wird schon irgendwie reichen, Aaron!«, meinte Cathy noch einmal bekräftigend. »Wir wollen den Kopf nicht hängen lassen.«
Aaron antwortete nicht. Er wich Cathys suchendem Blick aus. Ihm grauste vor der Arbeit bei den Dampföfen und doch wusste er, dass er einfach keine andere Wahl hatte. Morgen schon würde er dort antreten müssen für lächerliche vier Schillinge mehr die Woche! Was für ein Hohn! Wie er Ashworth, dieses hochnäsige Unternehmerschwein, dafür hasste! Die Chartisten, um die er bisher einen großen Bogen gemacht hatte, hatten wohl doch recht! Die Arbeiter mussten sich endlich wehren, mussten sich Gehör verschaffen, wenn es sein musste mit Gewalt! Es konnte doch nicht sein, dass ein Mann nicht einmal das Nötigste für seine Familie verdienen konnte, gleichgültig, wie sehr er sich dafür abrackerte – hilflos den nicht nachvollziehbaren Entscheidungen dieser Blutsauger von Fabrikbesitzern ausgeliefert. Eine harte, kalte Wut stieg in ihm auf und krallte sich schmerzhaft in seine Eingeweide. Er konnte es nicht mehr hinnehmen, was man ihnen antat. Mochte Cathy auch dagegen sein, er musste sich endlich wehren! Wo waren diese Chartisten zu finden? Er würde es schon bald herausbekommen!
Mary kauerte sich im Dunkel ihrer Ecke zusammen, froh, dass man sie nicht beachtete. Das hatte sie nicht gewollt! Wenn sie geahnt hätte, dass Mr Ashworth das meinte, als er ihr versprach, sich um Aaron zu kümmern, dann hätte sie doch ihren Mund gehalten! Sie erschauerte. Niemand durfte jemals davon erfahren und schon gar nicht ihre Geschwister! Es war nicht Tom Clarkes Schuld, was Aaron und damit ihnen allen da widerfahren war. Das war einzig und allein ihre Schuld! Ach, hätte sie doch nur nichts gesagt!
Kapitel 15
London, am nächsten Morgen
Kapitel 15
Ich habe ein Recht zu wissen, wohin du gehst!«, insistierte Isobel mit schriller Stimme, doch Havisham stellte sich weiterhin taub. Eben hatte er seinen Kammerdiener angewiesen, das Gepäck für einige Tage Abwesenheit zusammenzustellen und nun saß er an seinem Schreibtisch, um noch einige Briefe zu vollenden und letzte Vorkehrungen für die kommenden Tage zu treffen. »Du bist verrückt! Genau das bist du!«, keifte Isobel, kurz davor, in einen ihrer berüchtigten Wutanfälle auszubrechen. Das gleichgültige Verhalten Havishams reizte sie bis zur Weißglut. »Tagelang schließt du dich ein, sodass man wirklich anfängt, an deinem Geisteszustand zu zweifeln, dann rennst du aus dem Haus, kommst die ganze Nacht nicht nach Hause und jetzt willst du fort und sagst mir nicht einmal, wohin! Wen glaubst du, dass du vor dir hast, Horace Havisham? Immerhin bin ich deine Frau!«
Er sah von seinem Schreiben an Green auf, legte die Feder beiseite und sagte kühl: »Ja, leider, das bist du. Und ich bedaure es zutiefst. Es war ein Fehler, Isobel, dass wir den Bund der Ehe eingegangen sind.«
Kurz blieb ihr vor Empörung die Luft weg. »Was erlaubst du dir? Ich betrachte das als Affront«, kreischte sie.
Er wandte sich mit unbewegter Miene wieder seinem Schriftstück zu, meinte dann aber, noch einmal aufblickend: »Es liegt mir fern, dich zu beleidigen, Isobel. Ich habe auch an dir falsch gehandelt. Ich bedaure das aus tiefster Seele, glaube mir! Und nun lass mich
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