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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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etwas zu sagen?“
    „Nein, ich dachte nur, du solltest wissen, dass er nicht aus unserer Stadt ist.“
    „Er hat Dad gefunden!“ entgegnete sie scharf. „Ich habe ihn danach gefragt. Genehmigst du das?“
    „Ich wollte nicht …“ Gekränkt blickte sie von Avery zu ihrem Bruder. „Ich meinte nur … ich mache mir Sorgen um dich, das ist alles.“
    „Ich bin erwachsen, Cherry. Ich brauche keinen Schutz.“
    „Das sehe ich.“ Ihre Wangen wurden feuerrot. „Den Fehler, dir helfen zu wollen, mache ich kein zweites Mal. Entschuldige.“ Cherry eilte davon.
    „Sie wollte nur freundlich sein“, sagte Matt leise, aber vorwurfsvoll. „Sie ist um dich besorgt wie wir alle.“
    „Ich weiß. Es war ein Reflex.“ Avery verwünschte bereits ihre heftige Reaktion.
    Matt legte ihr eine Hand auf den Arm. „Das verstehe ich. Aber …“ Er brach ab.
    „Was?“
    „Du trauerst, und ich fühle mit dir, wie alle hier. Aber weise uns nicht ab, Avery. Wir lieben dich.“
    Sie schluckte, den Tränen nahe. Er hatte Recht. Wenn sie die Menschen vor den Kopf stieß, die sich um sie sorgten, würde sie noch einsamer sein, als sie es ohnehin schon war.
    Sie drückte ihm die Hand. „Danke. Eure Freundschaft bedeutet mir mehr, als ich sagen kann.“
    Er schlang die Finger um ihre. „Ich bin für dich da, wie immer.“
    Sie wurden von drei älteren Frauen unterbrochen, Mitgliedern der Quilt-Gruppe ihrer Mutter, wie sie erfuhr.
    Matt grüßte die drei und entfernte sich. Sie sah ihm nach, wie er durch den vollen Raum seiner Schwester folgte, vermutlich, um sie zu trösten.
    Avery nahm sich vor, sich später bei Cherry zu entschuldigen, wandte sich den drei Damen zu und nahm ihre Beileidsbekundungen entgegen. Nachdem die „Quilt-Bienen“, wie sie sich nannten, gegangen waren, blieb Avery einen Moment allein.
    Ihr Blick wanderte über die Menge und blieb an einer Gruppe Männer am Ende des Raumes haften. Sie redeten ruhig miteinander, die Mienen ernst. Einige kannte sie vom Sehen, allerdings nicht mit Namen. Keiner von ihnen hatte heute Abend mit ihr gesprochen. Während sie zusah, deutete einer mit dem Kopf auf jemanden außerhalb ihres Kreises. Die anderen blickten in die angegebene Richtung.
    Avery drehte sich um. Die Männer schienen über eine Frau zu sprechen, die sie nicht kannte. Groß, schlank, mit blondem Haar. Sie trug einen schlichten schwarzen Rock und eine weiße, geknöpfte Bluse. Sie stand allein neben einem Topffarn und wirkte verloren.
    Stirnrunzelnd blickte Avery wieder zu den Männern. Sie schauten eindeutig zu der Frau. Einer von ihnen lachte – ein falsches Lachen. Ihr Blick schwang zu der Frau zurück. War sie die Freundin eines dieser Männer?
    „Avery, Liebes, es tut mir so Leid.“
    Sie drehte sich um und sah sich ihrer Grundschullehrerin gegenüber. Die beiden umarmten sich, die Frau sprach ihr das Beileid aus und nahm ihr das Versprechen ab, anzurufen, falls sie Hilfe brauchte.
    Als sie sich wieder den Männern zuwenden wollte, war die Gruppe verschwunden. Auch die blonde Frau war gegangen. Ihr Blick glitt über die kleiner werdende Menschenmenge hinweg, und sie fragte sich, ob sie sich das Ganze vielleicht nur eingebildet hatte.
    Erstaunen würde es mich nicht, dachte sie und blickte in einem Anfall von Panik auf den geschlossenen Sarg ihres Vaters.

12. KAPITEL
    Hunter starrte auf den Monitor. Der geschriebene Text verschwamm vor seinen Augen und schien ihn zu verspotten. Angewidert betätigte er die Löschtaste und sah zu, wie der Cursor einen Buchstaben nach dem anderen auffraß, bis die Seite leer war.
    Wie konnte er schreiben, wenn er ständig an den Streit mit Avery denken musste? Wie sollte er sich auf seine Protagonisten konzentrieren, wenn ihm Averys Bild nicht aus dem Kopf ging: die gekränkte Miene, der Blick ein einziger Vorwurf.
    Sie hatte ihn angesehen, als sei er ein Monster.
    Verdammt! Hunter schob sich vom Schreibtisch zurück und erhob sich. Sarah stand winselnd an der Küchentür und wollte hinaus. Der Hund war schon den ganzen Abend unruhig und nervös gewesen … genau wie er selbst.
    Er ignorierte ihn und ging durch die Wohnung zu seinem Büro an der Vorderseite.
    Der Raum war leer und dunkel bis auf das Blinklicht am Anrufbeantworter. Hunter erinnerte sich, wie es früher hier ausgesehen hatte. Ein Raum voller Blumen, Farben und Düfte. Jetzt roch er so neutral, wie er aussah. Nur blankes Papier und Gesetzbücher.
    Er ging zum Frontfenster und blickte auf die dunkle Straße.

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