Stadt des Schweigens
Er drehte sich um. Avery war zu ihnen gestoßen. Dass sie mitgehört hatte, war ihrer entsetzten Miene zu entnehmen.
Ihr Blick wanderte von ihm zu seinem Vater und Matt. „Was ist los?“
Hunter streckte ihr eine Hand hin. „Tut mir Leid, Avery. Ich wollte dich da nicht mit hineinziehen.“
Matt trat zwischen sie. „Besprechen wir das draußen.“
Hunter gehorchte nur zu gern. Er folgte Vater und Bruder durch die Haustür auf die Veranda, wo Sarah mit dem Schwanz auf den Boden schlug, als sie ihn sah.
Die beiden Männer wandten sich ihm zu. Matt sprach als Erster. „Hoffentlich ist das nicht einer deiner kranken …“
„Witze? Ich wünschte, es wäre so.“
Rasch erzählte Hunter, was vorgefallen war, begann mit Sarahs Unruhe und endete mit dem Prüfen des Pulsschlages der Frau.
Buddy und Matt tauschten Blicke und sahen ihn wieder an. Buddy fragte: „Bist du sicher, dass die Frau ermordet wurde?“
Hunter zögerte. Sicher war er natürlich nicht. Sie könnte eine Obdachlose sein oder jemand aus den Geschäften an der Gasse. Vielleicht hatte sie einen Herzanfall erlitten und war in die Kisten gefallen, die danach umstürzten.
Er dachte an die lackierten Fingernägel und seine beginnende Erleichterung schwand wieder. Obdachlose hatten keine manikürten Nägel. Und die Geschäfte an der Gasse schlossen gegen fünf. Wäre sie eine Angestellte von dort gewesen, dann würden inzwischen Angehörige nach ihr suchen und in der Gasse nachsehen.
Trotzdem konnte die Frau eines natürlichen Todes gestorben sein.
„Hunter?“
Er blinzelte kurz und konzentrierte sich dann auf seinen Vater. „Ich nahm es nur an, weil sie tot in der Gasse lag.“ „Zeig uns, wo sie liegt.“
Hunter führte sie zu der Stelle. Als er an seiner Wohnung vorbeikam, hörte er die Welpen winseln und brachte Sarah zu ihnen ins Haus. Sein Vater und Matt gingen ohne ihn weiter.
„Verdammter Mist!“
„Oh verdammt!“
Sie haben sie gefunden. Die Ausrufe sprechen Bände.
Hunter ging die Gasse hinauf, blieb einige Schritte zurück und wandte den Blick ab, während die beiden sorgfältig weitere Kisten entfernten, um das Opfer besser sehen zu können. Er lauschte ihrem Dialog.
„Die Frau ist keines natürlichen Todes gestorben.“ „Nein. Verflucht!“
„Oh Mann, sie ist schrecklich zugerichtet.“
Das kam von Matt. Er klang seltsam erschüttert. Als presse jemand seine Stimmbänder. Sehr kräftig.
„Immer langsam“, warnte sein Vater. „Wir wissen nicht, was passiert ist. Wir müssen vorsichtig sein, um keine Beweise zu vernichten.“
Hunter sah seinen Bruder auf den Rat des Vaters hin nicken. Er merkte, wie viel Mühe es Matt kostete, sich zusammenzunehmen. „Sieh nur, sie ist auf die Seite gestürzt …“ Matt ging in die Hocke und betrachtete die Leiche genauer. „Keine bläuliche Verfärbung auf der Linken.“
„Also wurde sie bewegt.“
„Bingo.“
Es entsprach wohl der menschlichen Natur, so vermutete Hunter, dass er wieder zu der Leiche schaute, doch er bereute es sofort. Trotzdem konnte er den Blick nicht abwenden. Der Unterkörper der Frau war nackt, die Beine gespreizt. Der Slip war weggerissen worden, und der hochgeschobene Minirock bauschte sich um die Taille.
Blut überall. Über Schenkel und Bauch geschmiert.
Hunter schmeckte bittere Galle. Er wandte den Blick ab und atmete tief durch, um den Brechreiz zu unterdrücken.
„Ich muss das melden“, sagte Buddy mit belegter Stimme. „Hol eine Mannschaft zusammen, so schnell es geht.“
„Brauchst du die Hilfe des Sheriff Department, Dad?“ Matt klang ebenso erschüttert wie sein Vater. Hunter erkannte, dass sie trotz ihrer vielen Jahre im Polizeidienst wenig Erfahrung mit solchen Delikten hatten.
Mit solchen Delikten? Fang nicht an, es zu umschreiben, nenne es beim Namen. Das hier ist Mord. Das gewaltsame Auslöschen menschlichen Lebens.
„Ja, zum Teufel“, erwiderte Buddy. „Wir sind dafür nicht ausgerüstet. Das hier ist wie der Sallie Waguespack-Fall.“
Buddy und Matt erledigten ihre Anrufe, und nach zwanzig Minuten hatten sich die Polizeimannschaft von Cypress Springs und das Sheriff Department von West Feliciana am Tatort versammelt.
Hunter blieb zurück, als ein Beamter der Spurensicherung den Tatort mit gelbem Band absperrte. Ein Officer stand am Ende der Gasse, um Neugierige fern zu halten. Die Männer von der Spurensicherung des Sheriffs waren bereits bei der Arbeit. Sie hatten Scheinwerfer aufgestellt, um den Fundort
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