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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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seines Bruders erzürnten Hunter. „Wenn das alles war, möchte ich jetzt gehen. Es war ein harter Abend.“
    „Geh nur“, sagte Buddy. „Wenn wir mehr wissen, müssen wir vielleicht noch einmal mit dir reden.“
    Hunter ging davon und spürte die skeptischen Blicke von Vater und Bruder im Rücken. Er hätte sich gern umgeschaut und ihre Mienen gesehen. Sein Instinkt drängte ihn, es zu tun.
    Doch die Genugtuung würde er ihnen nicht geben. Sie sollten nicht merken, wie eigenartig ihn diese Begegnung angemutet hatte.
    Sie behandelten ihn wie einen Fremden, dessen Aufrichtigkeit sie anzweifelten.
    „He, Hunter?“
    Er blieb stehen, drehte sich um und sah seinen Bruder an. „Falls dir noch etwas Hilfreiches einfällt, ruf einen von uns an.“

14. KAPITEL
    Der Morgen der Beisetzung ihres Vaters war sonnig und warm. Die Aussegnung fand mit weit geringerer Beteiligung statt als die Totenwache. Hauptsächlich Familienangehörige, Freunde und Nachbarn waren gekommen. Aber das hatte Avery erwartet.
    Lilah stand zu ihrer Rechten, Buddy zur Linken. Jeder hielt in einer tröstlich unterstützenden Geste einen ihrer Arme. Lilah wirkte gefestigter als am Vorabend, obwohl sie während des Gottesdienstes leise weinte. Matt stand hinter seiner Mutter, Cherry neben ihm. Ihr genau gegenüber stand Hunter, allein, mit verschlossener Miene.
    Avery sah ihn an und entdeckte weder Trauer noch Mitgefühl bei ihm, nur Zorn. Nur diesen Ballast, den er mit sich herumschleppte. Sie schauderte. Was war ein Mensch ohne Mitgefühl? Zu was wäre er fähig?
    Ein Mensch ohne Mitgefühl ist zu allem fähig.
    Er wird zum Monster.
    Der Pastor, der sie getauft hatte, sprach voller Wärme von ihrem Vater und seinem guten Einfluss auf die Gemeinde und das Leben vieler Menschen.
    „Er war ein Licht in einer oftmals dunklen Welt“, endete er. „Und dieses Licht werden wir sicher vermissen.“
    Avery lenkte den Blick auf den Sarg, und ihr wurde schwindelig. Sie spürte eine Schwäche in den Beinen und fühlte sich losgelöst von der Erde.
    „Asche zu Asche …“
    „Er hat sich mit Diesel übergossen und angezündet.“ „Staub zu Staub …“
    „Wo warst du denn, Avery, als dein Dad so depressiv wurde, dass er sich angezündet hat?“
    Sie bekam keine Luft mehr und schwankte leicht. Buddy hielt sie fester, gab ihr Halt.
    Das ist nicht wahr! begehrte sie innerlich auf. Dad kann sich nicht das Leben genommen haben! Es kann nicht sein, dass er nicht mehr da ist!
    Ich habe mich nicht verabschiedet!
    Es war meine Schuld!
    Sie starrte auf den Sarg. Trauerszenen, die sie über die Jahre mitbekommen hatte, gingen ihr durch den Sinn: weinende Witwen, viel zu stille Kinder, die Familie und Freunde zur Verzweiflung brachten.
    Tod, der endgültige Verlust.
    Sie bekämpfte den Drang, sich auf den Sarg zu werfen und schreiend und schluchzend mit den Fäusten darauf zu trommeln. Mit geschlossenen Augen zwang sie sich zur Ruhe. Er würde neben ihrer Mutter ruhen, seiner Partnerin im Leben und im Tod.
    Oder trennte seine Tat sie in der Ewigkeit? Wer erteilte ihm Absolution? Und wer ihr?
    „Avery, Liebes, es ist vorbei.“
    Vorbei. Das Ende.
    Asche zu Asche … hat sich mit Diesel übergossen und angezündet … wo warst du, Avery. Wo warst du, als … Staub zu Staub. „Avery, Liebes, es ist Zeit.“
    Verständnislos sah sie Buddy an und nickte. Er führte sie vom Grab fort. Sie wandte den tränenverschleierten Blick ab, der auf den seltsamen Männern von der Totenwache haften blieb. Sie standen wieder beisammen, alle in Schwarz.
    Es waren sieben. Sie starrten Avery an, und einer lachte.
    Ein merkwürdiger Laut kam ihr über die Lippen. Sie taumelte, und Buddy fing sie auf. „Avery, alles in Ordnung?“
    Sie blickte zu ihm auf. Kleine Lichter tanzten vor ihren Augen. „Diese Männer, die Gruppe dort drüben, wer ist das?“
    „Wo?“ „Da …“
    Sie sind weg.
    „Sie waren eben noch da.“ Sie schwankte wieder, das Rauschen des eigenen Blutstroms in den Ohren. Ihr Puls schlug heftig. „Matt, schnell, hilf mir!“
    Als Avery wieder zu sich kam, lag sie auf dem Boden und sah in den wolkenlosen blauen Himmel hinauf. Etliche Leute standen um sie herum und blickten besorgt auf sie hinab.
    „Du bist ohnmächtig geworden“, sagte jemand leise.
    Blinzelnd schaute sie auf und erkannte Buddy. Sie blickte in die Runde. Matt, Cherry, Lilah, Pastor Dastugue. Allmählich sah sie die Welt wieder klar und erinnerte sich an die Augenblicke vor ihrer Ohnmacht.
    Verlegen

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