Stadt des Schweigens
auszuleuchten, und mit dem sorgfältigen Einsammeln von Beweisstücken begonnen. Der Polizeifotograf machte aus allen möglichen Positionen Aufnahmen.
Nur nicht aus der des Opfers, dachte Hunter, denn diese Augen sehen nie mehr etwas.
Er wandte dem Geschehen den Rücken zu und rieb sich die Augen. Sofort erschien ihm das Bild der Toten, und er fragte sich, ob er diesen Anblick je wieder loswerden könnte.
„Ich muss dir ein paar Fragen stellen, Hunter.“
Das kam von Matt. Hunter ließ die Hände sinken, blickte seinen Bruder über die Schulter an, drehte sich zu ihm um und merkte, wie entsetzlich müde er war. „Das habe ich mir gedacht. Was möchtest du wissen?“
„Erzähl uns noch mal genau die Abfolge, wie es dazu kam, dass du das Opfer gefunden hast. So genau wie du kannst, mit jedem Detail.“
Das Opfer. Hunter blickte noch einmal kurz zu der Frau hin. „Hat sie einen Namen?“
„Ja“, erwiderte Buddy. „Elaine St. Claire. Behalte es ein paar Stunden für dich, bis wir ihre Familie benachrichtigt haben.“
Es erstaunte ihn nicht, dass sein Vater ihren Namen kannte – schließlich kannte er jeden in dieser Stadt. „Wer war sie?“
„Eine hiesige Bardame. Partymädchen.“ Buddy streifte sie mit einem Blick und verzog das Gesicht. „Das Letzte, was ich von ihr gehört habe, war, dass sie die Stadt verlassen hatte.“
Sie war nicht weit gekommen. Die arme Frau. Manchmal kam ihm Cypress Springs wie ein Spinnennetz vor. Sobald man sich in ihm verfangen hatte, gab es kein Entrinnen mehr.
Wenn die Stadt das Netz war, wer war dann die Spinne?
Matt wurde langsam ungeduldig. „Können wir fortfahren?“ „Sicher.“ Hunter betrachtete seinen Bruder. „Was willst du wissen?“
Matt wiederholte seine Frage, und Hunter erzählte zum zweiten Mal, wie er Elaine St. Claire gefunden hatte.
„Und das ist alles? Bist du sicher?“ fragte Buddy. „Ja.“
Matt runzelte die Stirn. „Und du hast nichts gehört, keine Geräusche aus der Gasse?“
„Nein, nichts. Ich habe gearbeitet.“
„Gearbeitet?“
„An meinem Computer.“
„Deine Hündin, hat sie irgendwann am Abend mal gebellt?“ Hunter dachte nach. „Nicht, dass es mir aufgefallen wäre.“ „Ein großer Hund wie sie muss doch eine ziemlich laute Stimme haben.“
„Wenn ich arbeite, bin ich sehr konzentriert und blende alles andere aus.“
„An was hast du gearbeitet?“
Hunter zögerte. Er wollte seiner Familie nichts von dem Roman erzählen und log: „An einer Scheidungsvereinbarung.“
Fragend zog Matt eine Braue hoch. „Du scheinst dir da nicht sicher zu sein.“
„Ich bin mir absolut sicher.“
„Wessen Scheidung?“
Hunter schüttelte ungehalten den Kopf. „Das unterliegt, wie du sehr wohl wissen dürftest, der Schweigepflicht. Und es hat nichts mit dem zu tun, weshalb wir hier stehen.“
Matt wandte sich an Buddy. „Könnte sie schon eine Weile hier gelegen haben?“
„Ausgeschlossen. Während der Geschäftszeit ist in der Gasse einiges los. Angestellte machen hier Zigarettenpause, es werden Waren angeliefert, und Kinder fahren hier Skateboard.“
„Das heißt, sie wurde irgendwann nach Geschäftsschluss hier abgelegt.“
Buddy nickte. „Einer meiner Jungs soll Jean befragen, wann sie die Kisten rausgestellt hat.“
Jean war, wie Hunter wusste, die Besitzerin des Lebensmittelladens.
„Er soll sich vergewissern, ob sie ordentlich gestapelt waren, als sie abgeschlossen hat.“
„Was ist mit diesen Abfalltonnen?“ fragte Matt. „Warum gibt sie den Abfall nicht in den großen Behälter?“
„Ich glaube, das kann ich beantworten“, sagte Hunter. „Wenn sie abends wenig Personal hat, lässt sie den Abfall bis zum Morgen in den kleinen Tonnen.“ Matt und Buddy sahen ihn an, und er erklärte achselzuckend: „Ich bin ihr mal morgens begegnet, als ich Sarah ausgeführt habe.“
„Offenbar ist in dieser Gasse wirklich einiges los.“
Matts Ton gefiel Hunter nicht. „Sind wir fertig? Kann ich gehen?“
„Wie viel Verkehr ist nachts in der Gasse?“ „Sie ist absolut tot. Entschuldige die Wortwahl.“ „Gar kein Verkehr?“
„Manchmal ein paar Kids. Jemand, der versehentlich einbiegt, seinen Irrtum erkennt und zurückfährt. Ich und Sarah, wenn ich sie ausführe. Das ist alles.“
„Du kannst die Kinder und die Wagen von deiner Wohnung aus hören?“
„Ja. Meistens jedenfalls.“
„Aber heute Abend hast du nichts gehört oder gesehen?“ Der sarkastische Unterton und die ironische Miene
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