Stadt des Schweigens
versuchte sie aufzustehen.
Matt drückte sie mit einer Hand an ihrer Schulter sacht nieder. „Nur keine Eile. Atme tief durch, bis du dich wieder sicher fühlst.“
Sie gehorchte, und nach einer Weile gestatteten sie ihr, sich zu setzen und dann vorsichtig aufzustehen. Matt hielt den Arm um sie geschlungen, obwohl sie ihm versicherte, es gehe ihr gut.
„Ich schäme mich so“, sagte sie. „Ich komme mir idiotisch vor.“
„Unfug.“ Lilah wischte ihr Blätter und anderen Unrat von der schwarzen Jacke. „Wann hast du das letzte Mal gegessen?“
Sie wusste es nicht, denn sie konnte ihre Gedanken nicht ordnen und sich nicht erinnern. „Ich weiß nicht. Lunch gestern, glaube ich …“ Sie befeuchtete sich die Lippen.
„Kein Wunder, dass du umgekippt bist“, meinte Lilah besorgt. „Ich hätte dir etwas zu essen mitbringen sollen.“
Avery wandte sich an Matt. „Hast du sie gesehen?“
„Wen?“
„Die Gruppe von Männern. Sie standen beisammen. Es waren sieben.“
Matt und Buddy tauschten Blicke. „Wo?“
Sie deutete auf die entsprechende Stelle. „Da drüben.“
Die beiden blickten in die Richtung, dann wieder zu ihr. „Ich kann mich an keine Männergruppe erinnern“, erwiderte Matt und sah Cherry und Lilah an. „Ihr vielleicht?“ Da die Frauen verneinten, richtete er den Blick auf Avery. „Bist du sicher, dass du sie gesehen hast?“
„Ja. Ja, ich … sie waren auch bei der Totenwache.“ „Wer war das denn?“
Verwirrt rieb sie sich den Kopf. Bei der Totenwache hatte sie geglaubt, einige von ihnen zu kennen, doch jetzt konnte sie sich nicht mehr erinnern.
Ich verliere den Verstand.
„Ich weiß nicht, ich …“ Sie verstummte. Und während ihr Blick von einem zum anderen wanderte, erkannte sie Sorge in den Gesichtern.
Die denken auch, ich verliere den Verstand.
Lilah legte ihr einen Arm um die Schultern. „Armes Mädchen, du hast so viel durchgemacht. Komm jetzt. Ich habe Sandwichs und Kekse im Haus. Wir päppeln dich gleich auf.“
Lilah päppelte sie tatsächlich auf, so gut es unter den Umständen möglich war. Die ganze Familie Stevens war rührend um sie bemüht, sorgte dafür, dass sie genug zu essen bekam, und verscheuchte die Trauergäste, als ihr wieder flau wurde. April spürte, dass ihr das Essen gut tat.
Nachdem der letzte Trauergast gegangen war, fuhr Matt Avery heim. Sie legte den Kopf gegen die Rückenlehne und schloss die Augen. Nach einem Moment sah sie ihn an. „Kann ich dich etwas fragen?“
Er streifte sie mit einem Seitenblick. „Schieß los.“
„Hast du wirklich keine Gruppe von Männern gesehen, die eng beisammen standen? Weder bei der Totenwache noch auf der Beerdigung?“
„Wirklich nicht.“
„Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“
Er langte über den Sitz und drückte ihr die Hand. „Stress und Trauer lassen die Phantasie manchmal verrückt spielen.“ „Habe ich schon gehört.“
Leicht stirnrunzelnd sah er zu ihr hin. „Ich mache mir Sorgen um dich, Avery.“
Sie lachte freudlos. „Komisch, dass du das sagst. Ich mache mir auch Sorgen um mich.“
Er drückte ihr noch einmal die Hand, ehe er seine wieder ans Lenkrad legte. „Es wird besser.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
Sie schwiegen, und Avery studierte sein Profil. Gerade Nase, kräftiges Kinn, ein schön geschwungener Mund, ohne feminin zu wirken. Ein Kussmund. Das wusste sie aus Erfahrung.
Er war verdammt attraktiv, noch mehr als damals vor zwölf Jahren.
„Matt?“ Er sah kurz zu ihr hin. „Was war das mit Hunter gestern Abend?“
„Ich glaube, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.“
„Die Trauergäste haben vorhin die ganze Zeit darüber getuschelt.“
Er bog langsam in ihre Straße ein. „Gestern Abend wurde eine Frau ermordet aufgefunden.“
„Hunter hat sie gefunden?“ „Ja. In der Gasse hinter seiner Wohnung.“ In den Großstädten, in denen sie die letzten Jahre gelebt hatte, war Mord an der Tagesordnung. Aber hier … ?
Solche Sachen passieren nicht in Cypress Springs.
Genauso wenig, wie sich beliebte Ärzte hier selbst verbrennen.
„Wie wurde sie umgebracht?“
Matt erreichte ihr Elternhaus und fuhr langsam in die Einfahrt. Oben angelangt hielt er an, schaltete den Motor aus und wandte sich ihr zu. „Avery, das musst du nicht wissen. Du hast im Moment genug anderes um die Ohren.“
„Wie?“ beharrte sie.
„Ich kann und will es dir nicht sagen. Tut mir Leid.“
„Wirklich?“
Er nahm ihre Hand. „Sei nicht
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