Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
Vom Netzwerk:
Sie wollte nicht lügen, andererseits wollte sie nicht preisgeben, in welche Richtung ihre Gedanken gingen. Noch nicht. Deshalb entschied sie sich für eine Halbwahrheit.
    „Sie hat Fragen über Dad gestellt. Und ich möchte wissen, warum.“
    „Das ist eigenartig. Was für Fragen?“ „Ich fand es auch eigenartig.“
    Falls er ihre ausweichende Antwort bemerkte, gab er es nicht zu erkennen. „Viel Glück. Melde dich, wenn du etwas brauchst.“
    Avery dankte ihm und legte auf, nachdem sie versprochen hatte, morgen oder übermorgen zum Dinner zu kommen. Sie stieg die Treppe hinauf, um sich umzuziehen. Auch wenn es noch unchristlich früh war, gab es keinen besseren Zeitpunkt, Gwen Lancaster aufzusuchen.
    Keine zwanzig Minuten später überquerte sie die breite, schattige Frontveranda des Gästehauses. Die Familie Landry betrieb es, solange sie denken konnte. Sie hatten den alten viktorianischen Kasten in den sechziger Jahren umgebaut, da er ihnen als schlichter Familiensitz zu groß und zu teuer geworden war. Die Familie bewohnte zwei Drittel des Erdgeschosses, die obere Etage war in vier Wohn-/Schlafräume mit kleiner Küche und Bad umgewandelt worden. Das restliche Drittel im Erdgeschoss war ebenfalls ein Wohn-/Schlafraum, jedoch mit einem zusätzlichen Salon.
    Avery trat ein. An der Schmalseite des Foyers befand sich ein kleiner Empfangstresen. Die junge Frau dahinter blickte auf und lächelte. Die nächste Generation der Landrys, dachte Avery. Sie ähnelte sowohl Laurie, Averys ehemaliger Freundin, als auch deren älterem Bruder Daniel.
    „Hallo“, grüßte Avery und kam an den Tresen. „Ich wette, Sie sind Dannys Tochter.“
    „Bin ich.“ Sie blies eine Kaugummiblase und ließ sie platzen. „Woher wissen Sie das?“
    „Ich bin hier aufgewachsen. Ich war eine Freundin Ihrer Tante Laurie. Sie sehen Ihrem Dad sehr ähnlich.“
    Das Mädchen zog eine Schnute. „Das sagen alle.“
    „Ich suche Gwen Lancaster. Sie wohnt hier, glaube ich.“
    „Tut sie. In 2C.“
    „Danke.“ Avery verabschiedete sich und ging die Treppe hinauf. Zimmer 2C lag am Ende des Flures auf der linken Seite. Sie klopfte und hoffte, dass es früh genug war, um Gwen zu erreichen.
    Sie hatte Glück. Gwen öffnete verschlafen. Ich habe sie geweckt, erkannte Avery ohne Bedauern und legte eine Hand gegen die Tür, damit Gwen sie nicht zuschlagen konnte. „Warum sind Sie so am Tod meines Vaters interessiert? Ich will die Wahrheit wissen, die ganze Wahrheit.“
    Einen Moment sah Gwen sie ruhig an, zog dann die Tür weiter auf und trat beiseite. „Kommen Sie herein.“
    Avery folgte der Aufforderung, und Gwen schloss gähnend die Tür. „Kaffee?“
    „Nein danke, ich bin abgefüllt.“
    „Ich brauche unbedingt eine Tasse.“ Sie forderte sie mit einer Geste auf, in der kleinen Sitzgruppe Platz zu nehmen. „Bin sofort zurück.“
    Wie versprochen saß Gwen ihr fünf Minuten später mit dem Kaffeebecher in der Hand gegenüber. Avery ließ ihr nicht einmal Zeit, den ersten Schluck zu nehmen. „Was Sie mir gestern aufgetischt haben, war der reine Mist. Mit dem Gerichtsmediziner über den Tod meines Vaters zu reden, verschafft Ihnen keinerlei Aufschlüsse über Dads Verbindung zu den Sieben. Offensichtlich sind Sie an seinem Tod interessiert. Warum?“
    Gwen sah sie eine Weile nur an. „Okay, dann also die Wahrheit. Ich habe Zweifel, dass Ihr Dad Selbstmord begangen hat.“
    Ein unwillkürlicher Laut des Erschreckens kam Avery über die Lippen. Sie legte eine Hand vor den Mund, stand auf und wandte Gwen, um Fassung ringend, den Rücken zu.
    „Tut mir Leid“, sagte Gwen leise.
    Avery schüttelte den Kopf, ohne sich umzudrehen. „Warum?“ fragte sie. „Was bringt Sie zu der Annahme …“
    „Für eine so kleine Stadt hat Cypress Springs eine ungewöhnlich hohe Zahl an Selbstmorden zu verzeichnen.“
    Verblüfft drehte Avery sich zu ihr um. „Wie bitte?“
    „Cypress Springs hat etwa neunhundert Einwohner, richtig?“ Avery stimmte zu. „In den letzten acht Monaten haben sich sechs ihrer Bürger selbst das Leben genommen. Eine ziemlich große Zahl für eine Gemeinde, die sich doch damit brüstet, ein guter Ort zum Leben zu sein. Um Ihnen eine Vorstellung von den Relationen zu geben: Die jährliche Zahl von Selbstmorden in Louisiana liegt im Schnitt bei 1,2 pro tausend Einwohner. Wenn man diesen staatlichen Durchschnittswert auf Cypress Springs umlegt, dürfte es hier nicht mehr als 1,2 Selbstmorde jährlich geben.“
    „Ihre

Weitere Kostenlose Bücher