Stadt unter dem Eis
Sonchis' Name drauf«, sagte der Papst. »Aber der Rest des Schriftstücks ist aus der vorminoischen Zeit.«
»Geben Sie mir ein paar Wochen Zeit …«
»Ich hatte gehofft, Sie könnten es auf dem Weg in die Antarktis entschlüsseln«, sagte der Papst. »Ich lasse gerade einen Privatjet auftanken.«
»Für mich? Aber Sie haben es doch selbst gesagt, Heiliger Vater. Die Stadt liegt, wenn sie denn wirklich existiert, zwei Meilen unter dem Eis. Genauso gut könnte sie auf dem Mars sein.«
»Die Amerikaner haben sie entdeckt«, sagte der Papst fest. »Jetzt müssen Sie nur noch die Amerikaner finden. Bevor es zu spät ist.«
Der Papst legte eine Hand auf den Globus und die andere auf die Himmelskugel zu seiner Linken.
»Derartige Globen wurden 1648 von Joan Blaen, dem Sohn des großen holländischen Kartografen Willem Blaeu, gemalt. Sie bildeten damals die ›moderne Welt‹ ab. Leider wurden Himmel und Erde völlig falsch dargestellt. Schauen Sie, Kalifornien ist eine Insel.«
Sie blickte auf die Erdkugel mit ihren Ungeheuern im Meer. »Die Arbeit Blaeus ist mir wohl bekannt, Heiliger Vater.«
»Alles, was man damals für wahr und richtig hielt, hat sich als falsch erwiesen«, antwortete er. »Eine Warnung, dass die Welt, so wie wir sie heute sehen, in ein paar Jahrhunderten wahrscheinlich genauso falsch aussehen wird. Oder schon in ein paar Tagen.«
»In ein paar Tagen?«, sagte Serena. »Ihre Prophezeiung könnte in ein paar Tagen in Erfüllung gehen, aber Sie haben die Kirche nicht darüber in Kenntnis gesetzt?«
»Die geistlichen, politischen und militärischen Konsequenzen wären beängstigend, Schwester Serghetti«, sagte der Papst. Er sprach sie weiter wie eine Nonne an, wie ein Mitglied der Gemeinschaft, nicht wie eine Außenstehende. »Überlegen Sie doch nur, was geschähe, wenn auf der Welt moralische Anarchie herrschte, weil die Menschheit die jüdisch-christliche Tradition fallen gelassen hätte.«
»Darüber habe ich sehr wohl nachgedacht, Heiliger Vater. Dieser Tag ist für den Rest der Menschheit außerhalb Roms schon lange gekommen.«
Der Papst blieb einen beklemmenden Augenblick lang stumm. Schließlich räusperte er sich und sagte: »Haben Sie sich nie gefragt, warum Sie ursprünglich einer so sicheren und verlässlichen Ersatzfamilie wie der Kirche beigetreten sind?«
Serena schwieg. Dieser Frage war sie bisher immer ausgewichen. Um die Wahrheit zu sagen, sie glaubte trotz ihrer offenen Meinungsverschiedenheit mit der Kirche, dass diese eine Hoffnung für die Menschheit darstellte, die einzige Institution, die verhindern konnte, dass die Welt moralisch aus den Fugen geriet.
»Vielleicht fiel es Ihnen als Nonne leichter, mit Gott in Einklang zu sein. Vielleicht suchten Sie nach der unbedingten, über jeden Zweifel erhabenen Gewissheit, dass Er sie annimmt.«
Der Papst kam der Wahrheit so nahe, dass es Serena fast nicht mehr im Zimmer aushielt. Sie wollte weglaufen und sich verstecken.
»Nicht durch meine guten Taten, Heiliger Vater, sondern einzig durch Gottes Gnade und Christi Sühnetod am Kreuz wird meine Seele gerettet.«
»Genau das meine ich doch«, sagte der Papst. »Was wollen Sie dem noch hinzufügen?«
Die Leere in Serenas Innerem war wie ein dumpfer Schmerz. Sie konnte die Frage des Papstes nicht beantworten, wollte aber etwas sagen, egal was. »Mich in die Antarktis zu verbannen, um die Amerikaner zu entlarven, wird mich auch nicht …«
»… endlich Ihrer Berufung als Mutter Erde würdig erweisen?« Der Papst sah sie an wie ein Vater seine Tochter. »Schwester Serghetti, ich möchte, dass Sie in die ›letzte Wildnis‹ der Natur gehen, um Gott zu finden – weit weg von dem allen hier.« Er deutete auf die Bücher und Karten und Kunstwerke. »Nur Sie und der Schöpfer des Universums. Und Doktor Yeats.«
4
Entdeckung
plus 23 Tage, 6 Stunden Eisstation Orion
Die Kommandozentrale der Eisstation Orion war eine Kapsel mit niedriger Decke, die voll gestopft mit Konsolen und Mitgliedern der Crew war, die im Dunkeln auf ihre flimmernden Monitore schauten. Für Generalmajor Griffin Yeats war sie ein Triumph der Air-Force-Logistik. Sie war in weniger als drei Wochen auf dem wohl unbekanntesten Terrain des Planeten Erde errichtet worden.
»Noch dreißig Sekunden, General Yeats«, sagte Colonel O'Dell, Yeats' stiernackiger Erster Offizier aus dem Dunkel über seiner beleuchteten Konsole.
Auf dem großen Bildschirm war die Antarktis abgebildet. Aus dem All sah der
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