Stadt unter dem Eis
Sturm …«
»Keine Ausreden, Colonel. Bin gleich da. Bis dahin sind Sie auf dem neusten Stand.«
Yeats nahm noch einen Schluck Whiskey und starrte nach draußen. Damals, als Nixon die Marsmission aussetzte, war Yeats hier in der Antarktis gewesen, vierzig Tage lang in einem speziell konstruierten Lebensraum eingesperrt, der exakt die erste Marslandung simulieren sollte. Sie waren ein Team von vier Leuten gewesen, ausgestattet mit zwei Marslandefähren, einem Atomkraftwerk und einem Geländefahrzeug, mit dem sie das umliegende Gebiet erkundeten.
In der Antarktis war es genauso kalt wie auf dem Mars und fast ebenso windig. Die Schneestürme hatten dieselbe Kraft wie die Sandstürme auf dem Mars. Vor allem aber war der Kontinent sozusagen fast so entlegen wie der rote Planet. In dieser extremen Abgeschiedenheit würde sich der wahre Charakter der Crew-Mitglieder zeigen.
Für Yeats hatte die damalige Erfahrung sein Leben auf ungeahnte Weise für immer verändert. Vier Menschen hatten diese Mission angetreten. Nur einer kam hinkend, aber lebendig wieder zurück. Aber mit welcher Perspektive? Um als verknöchertes Relikt eines alten Weltraumprogramms durch die Untergeschosse des Pentagons zu geistern? Um ein Waisenkind aufzuziehen? Um als Folge davon seine Frau und Töchter zu verlieren? Ihm war alles genommen worden.
Jetzt holte er es sich zurück.
5
Entdeckung plus 23 Tage
Im Frachtraum des C-141 Starlifter war es eiskalt, als Conrad aus dem Schlaf gerissen wurde. Müde und verärgert rieb er sich die Augen. Er saß zusammen mit zwei Dutzend Soldaten der Special Forces angeschnallt da. Die Soldaten trugen Polaranzüge und waren mit isolierten M-16 ausgestattet.
Noch ein Rütteln. Sie waren die meiste Zeit durch einen klaren Himmel und über endloses Weiß hinweggeflogen. Jetzt aber schwebten sie in einer trüben Suppe, und die Turbulenzen wurden von Sekunde zu Sekunde heftiger. Die riesigen Frachtcontainer im Rumpf verschoben sich und zerrten bei jedem Ruck quietschend an ihren Halterungen.
Conrad blickte auf sein mit mehreren Sensoren ausgestattetes GPS-Gerät, das sich eines Netzwerks von 27 Satelliten bediente, um jede Position auf der Welt mit maximal 30 Metern Abweichung angeben zu können. Die letzten 16 Stunden, die er in verschiedenen Militärflugzeugen zugebracht hatte, mussten die Lithium-Batterie aufgebraucht haben, jedenfalls blieb die Anzeige für die Breiten- und Längengrade leer. Der eingebaute Kompass hingegen drehte sich heftig – NO, SO, SW, NW. Vermutlich näherten sie sich einem Pol, höchstwahrscheinlich dem Südpol.
Er wandte sich dem Soldaten zu, der mit steinerner Miene neben ihm saß, und brüllte gegen das Heulen der Strahltriebwerke an: »Ich dachte, das Militär wäre aus der Antarktis verbannt.«
Der Soldat prüfte sein M-16, starrte geradeaus und antwortete: »Welches Militär?«
Conrad stöhnte auf. Mit genau diesen Lügen hatte er sich als Sohn von Griffin Yeats, einem ausgemusterten NASA-Astronauten, dem es irgendwie gelungen war, durch die dunklen Korridore der Macht im Pentagon zum Air-Force-General aufzusteigen, schon sein Leben lang herumschlagen müssen. Vater Yeats war der festen Auffassung, dass die Wahrheit nur auf einer strikten ›Nur das Allernötigste‹-Basis preisgegeben werden sollte, angefangen mit den Umständen von Conrads Geburt.
Laut Yeats' offizieller Version der Geschehnisse war Conrad angeblich das Produkt eines One-Night-Stands eines gewissen Captain Rick Conrad und einer anonymen Stripperin in Daytona Beach. Als Captain Conrad während eines Ausbildungslehrgangs in der Antarktis starb, setzte die Frau ihr uneheliches Kind vor dem Eingang des Krankenreviers in Cape Canaveral aus. Kurz darauf starb sie an einer Überdosis Drogen. Um das blitzsaubere Image ihrer Astronauten vor unschönen Kratzern zu bewahren, verzichtete die NASA auf den üblichen Behördenkram und gestattete Captain Conrads Vorgesetztem und bestem Freund, Major Griffin Yeats, den Jungen zu adoptieren.
Als er älter wurde, begann Conrad jedoch die Richtigkeit der Geschichte anzuzweifeln. Genau wie seine Stiefmutter Denise. Sie hatte von Anfang an geargwöhnt, dass Yeats der leibliche Vater Conrads war und Captain Conrads Tod nur als willkommenen Vorwand benutzt hatte, um die Geburt eines unehelichen Sohnes zu vertuschen. Kein Wunder, dass sie sich, als Conrad acht war, scheiden ließ und mit ihren Töchtern, damals neun und elf Jahre alt und Conrads einzige Vertrauten,
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