Stadt unter dem Eis
Colonel.« Yeats deutete auf den kleinen Monitor, auf dem Schwester Serghetti in ihrer Zelle zu sehen war. »Sie spielt auf Zeit und wartet, bis die Kavallerie eintrifft. Es wird nicht mehr lang dauern, dann klopfen die Waffeninspekteure der UN an die Tür.«
Das bedeutete, das Einsatzteam müsste bis dahin wieder aus der P4 draußen sein, schloss Yeats, und fing im Geiste an zu rechnen. In der P4 müssten alle Spuren verwischt und die wichtigsten technischen Daten entfernt sein, bevor die internationalen Einheiten das Gelände erreichten.
»Es kommt noch schlimmer«, sagte Lopez. »McMurdo meldet, dass die Station Wostok unseren Funkverkehr mit Flug 696 abgefangen hat. Es ist bereits ein UNACOM-Team losgeschickt worden.«
Yeats stöhnte. »Ich hab es gewusst. Wer leitet das Team?«
»Ein ägyptischer Luftwaffenoffizier«, sagte sie und gab ihm die Meldung. »Oberst Ali Zawas.«
»Zawas?« Yeats blickte auf das Foto. Es zeigte einen gut aussehenden Mann in Uniform mit dunklen, nachdenklich dreinblickenden Augen und gewelltem schwarzem Haar. »Verfluchter Mist.«
»Er ist doch nicht etwa verwandt mit …«, sagte O'Dell.
»Er ist der Neffe vom Generalsekretär«, sagte Yeats. »Er war auf der United States Air Force Academy. Im ersten Golfkrieg flog er auf der Seite der Alliierten und hat zwei irakische Flugzeuge für uns runtergeholt. Verdammt guter Offizier und ein echter Gentleman.« Yeats gab Lopez die Meldung zurück. »Von wem kriegt er Unterstützung, Lieutenant?«
»Also, in Wostok sind das die Russen unter dem Kommando von Iwan Kowitsch. Und die Australier haben ihre Hilfe von der Station Mawson aus angeboten.« Sie hielt inne. »Wie unsere amerikanischen Wissenschaftler von Amundsen-Scott im Übrigen auch. Die hatten wir bisher raushalten können.«
»Mist!«, knurrte Yeats. »In ein paar Stunden wird die ganze Welt hier versammelt sein.«
»Nicht bei dem Sturm, der bald wieder loslegt, Sir«, sagte O'Dell. »Was voraussichtlich in sechs Stunden der Fall sein wird. Laut Wettervorhersage wird er uns ziemlich übel treffen. Könnte uns alle vielleicht drei Wochen lang festnageln.«
Yeats sah aus dem Fenster. Der Himmel war schwarz. Der Schneesturm prasselte wie Gewehrkugeln an das Glas. »Der Sturm könnte die Australier aufhalten, aber Zawas und das UNACOM-Team werden einfach nur etwas länger brauchen.« Yeats wandte sich an O'Dell. »Sie sorgen dafür, dass diese Barbaren hier oben bleiben, während ich den Einsatz in die P4 runter leite.«
»Und wie soll ich erklären, dass wir Mutter Erde gegen ihren Willen festhalten?«
»Brauchen Sie nicht«, sagte Yeats. »Ich nehme sie mit. Wir haben keine Sekunde zu verlieren.«
Teil Zwei
Abstieg
11
Abstieg, 1. Stunde Der Abgrund
Über dem Abgrund war der Himmel bedrohlich schwarz geworden, und Serena spürte, wie der Wind plötzlich eisig wurde. Wenn das die Stille vor dem Sturm war, wollte sie den eigentlichen Ausbruch nicht erleben. Nebelschwaden stiegen aus der Tiefe. Den nächsten Schutz bot der P4-Fundort, eine Meile unter ihnen.
»Wollen Sie sich dem Ganzen wirklich aussetzen, Schwester?«
Über ihr glitt Yeats in seinem weißen Polaranzug die Eiswand herab. Unter dem blendenden Licht der Stirnlampe zeigte Yeats ein teuflisches Grinsen. Oben auf festem Boden hatte er ihr ausführlich die Risiken erklärt, die sie eingehe, wenn sie mit dem Einsatzteam herabkomme. Aber was blieb ihr denn anderes übrig? Mit dem Rest der Welt in der Basis abzuwarten, bis das Team wieder auftauchte, hätte bedeutet, weiterhin im Dunkeln zu tappen.
»Genau genommen bin ich Doktor Serghetti, General«, sagte sie und bohrte das Steigeisen an ihrem Plastikstiefel ins Eis. »Außerdem habe ich mit der Mutter Oberin den Everest bezwungen.«
»Hat sie Ihnen das Strumpfband verpasst?«
Yeats deutete auf Serenas Gurte. Sie sahen tatsächlich aus wie ein Hüftgürtel mit zwei roten Schlingen an den Oberschenkeln. Falls sie fiel, würde sich der Druck gleichmäßig auf den Unterkörper verteilen.
»Nein, nur das hier.« Serena brachte einen Eispickel zum Vorschein, hämmerte einen Haken in die Eiswand und befestigte daran mit einem Karabiner ein neues Seil. Sie wollte Yeats demonstrieren, dass sie für diese Herausforderung bestens gerüstet war. In Wirklichkeit fühlte sie sich allerdings nicht so sicher, wie sie tat. Ihr Herz schlug wie wild, und sie atmete schnell.
Sie hatte den berüchtigten Yeats erst auf der Eisstation Orion persönlich kennen gelernt. Davor
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