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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Greanias
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dicht an der Mauer, damit du nicht in den Kanal rutschst.«
    Nach ungefähr dreihundert Metern Abstieg verlor Yeats jegliches Orientierungsvermögen. Solch ein Schwindelgefühl beschlich ihn manchmal auch in der Eisstation Orion. Er wusste dann nicht mehr, was oben oder unten war, ob es abwärts oder hinaufging. Yeats rieb sich die Augen, die vom kalten, salzigen Schweiß schmerzten, und ging weiter den großen Gang hinab.
    »Du hast Serena doch nicht nur als Beobachterin mitgenommen, oder etwa doch?«, sagte Conrad auf einmal.
    Yeats spürte, dass Conrad die Nonne vermisste. Du meine Güte, dachte er, wir haben sie doch gerade erst zurückgelassen. »Um Gottes willen, nein!«, sagte Yeats. »Ich will herauskriegen, was sie alles weiß. Was auf jeden Fall mehr sein dürfte, als sie zugibt.«
    »Warum bist du so misstrauisch?«
    »Das gehört zu meinem Job.«
    »Irgendwie finde ich, dass Serena nicht allein bleiben sollte.«
    »Drei gute Offiziere bewachen sie.«
    »Ich finde, wir hätten sie mitnehmen können.«
    »Auf keinen Fall. Und jetzt kannst du mir auch verraten, was du in Gegenwart der guten Schwester nicht sagen konntest. Zum Beispiel das, was du wirklich denkst.«
    Conrad lockerte den Griff ums Seil, und Yeats stellte fest, dass jetzt die Schwerkraft Conrad weiter in den Tunnel gleiten ließ. Yeats folgte unmittelbar hinter ihm.
    »Wahrscheinlich ist da gar nichts dahinter«, sagte Conrad. »Reiner Zufall.«
    »So was gibt's hier nicht«, antwortete Yeats. »Also, schieß los.«
    »Schau dich mal um.« Conrad deutete mit der Hand in den gewaltigen schimmernden Gang. »Hier und in der ganzen Pyramide gibt es keinerlei Inschriften, keine religiösen Zeichen oder sonstige Symbole.«
    »Und?«
    »Das heißt, dass es sich nicht um eine Grabstätte handelt. Sie ist noch nicht mal ein Rätsel für Eingeweihte, das man auf irgendeine Weise zu lösen hat, wie ich das vorhin angedeutet habe.«
    »Was zum Teufel ist es dann?«
    »Irgendwie habe ich das Gefühl, als wären wir in einer großen Maschine.«
    Yeats verspürte tief in den Eingeweiden einen verstörenden Ruck. Die Neuigkeit kam wie eine Prophezeiung, einerseits halbwegs erwartet, andererseits beunruhigend. »Maschine?«
    »Eine Maschine, die einem ganz bestimmten Zweck dienen soll.«
    Ein bedrückendes Gefühl lag in der Luft. Yeats räusperte sich. »Welchem denn?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht hat die Erbauer eine Katastrophe eingeholt, bevor sie die Maschine starten konnten.«
    »Gut möglich.«
    »Vielleicht hat diese Maschine das Unheil aber auch erst herbeigeführt.«
    Yeats nickte bedächtig mit dem Kopf, während er das Gesagte auf sich wirken ließ. Er hatte es irgendwie schon die ganze Zeit gespürt. Er wollte Conrad mehr darüber erzählen. Aber jetzt war nicht der richtige Augenblick dazu. Conrad würde es hoffentlich auch allein herausfinden.
    ***
    Als sie den großen Gang hinunterstiegen, bereute Conrad es immer mehr, Serena in der oberen Kammer zurückgelassen zu haben. Nicht nur weil er wollte, dass sie sich selbst ein Bild davon machte, wie Recht er mit der P4 hatte. Ihre Augen hatten ihm gezeigt, wie ausgeschlossen sie sich fühlte. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut und hatte nun ein schlechtes Gewissen, dass er Yeats gegenüber nicht zu ihr gehalten hatte. Aber er wollte auch nicht seine Chance verspielen, als Erster die unteren Teile zu erforschen und die Führung zum größten archäologischen Fund der Menschheitsgeschichte zu übernehmen.
    Als sie das Ende des Gangs erreichten, begann Conrads geistiges Bild vom Inneren der Pyramide jedoch etwas zu wanken. Er stand vor einer Gabelung, von der zwei kleinere Tunnel abzweigten. Es hätten drei sein sollen.
    Hinter sich hörte er Yeats schwer atmen. »Und?«, fragte Yeats ungeduldig. »Wo lang jetzt?«
    Conrad sah sich die beiden ›kleineren‹ Tunnel genau an. Beide waren mehr als zehn Meter hoch. Der eine führte die Neigung von 26 Grad fort. Der andere fiel um 90 Grad in einen senkrechten Schacht ab. Beides gefiel ihm nicht.
    Instinktiv drehte sich Conrad um und suchte nach einem dritten Tunnel, der unter dem Gang zurückführen musste. Er fand nichts.
    »Was machst du da?«, fragte Yeats.
    Conrad klopfte die kalte Mauer ab und schwieg. Er war sich sicher, dass die zentrale Kammer, die er suchte, auf dieser Ebene war. Und wenn die Cheopspyramide in Gise wirklich eine Nachbildung der P4 war, dann müsste der Korridor, der in die Hauptkammer führte, dort am Ende des großen Gangs

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