Stadt unter dem Eis
das Zepter. Irgendwie musste sie einen Weg finden, es wieder an sich zu bringen.
Draußen hörte sie Stimmen. In der Tür zeichneten sich kurz darauf die dunklen Umrisse dreier Gestalten ab, die den Sternenhimmel verdeckten. Es war Jamil in Begleitung zweier Ägypter. Serena wurde starr vor Schreck, weil er nun ein Tuch mit einem ganzen Sortiment an Messern und Nadeln auf dem Tisch ausrollte.
»Schwester Serghetti, Oberst Zawas bedauert es zutiefst, dass er Sie nicht zum Kooperieren bewegen konnte«, sagte er. »Jetzt werde ich mein Glück versuchen.«
»Was Sie nicht sagen.« Sie starrte auf die grausamen Werkzeuge. »Übertreiben Sie da nicht ein wenig? Ich habe Zawas schon gesagt, dass ich nicht weiß, wo das Heiligtum ist. Ehrlich. Wenn ich es wüsste, hätte ich es längst gesagt.«
»Sie tun ganz schön tapfer, Schwester Serghetti. Ich bin schwer beeindruckt.« Jamil betrachtete seine Utensilien, bei denen es sich in erster Linie um Spritzen, Messer verschiedenster Art und Elektrostäbe handelte. »Ach, ist das schön. Das haben wir alles von eurer Inquisition abgeschaut.«
Er nahm eine ellenlange schwarze Stange. Blitzartig wurde sie lebendig. Es war ein Elektroschockstab.
»Mein Lieblingsstück«, sagte er und wedelte damit vor ihr herum. An der Spitze sprühten blaue Funken. »Jeder Schlag hat etwa 75.000 Volt. Nach ein paar Stößen sind Sie bewusstlos. Ein paar mehr – und Sie sind tot.«
»So weit wollen Sie es kommen lassen, Jamil?«
Jamil fluchte und riss ihr den Mund auf. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber der Metallstab steckte schon in ihrem Mund. Sie musste würgen, weil Jamil ihn tief hineinschob.
»Die Chinesen rammen ihn den Gefangenen in den Rachen und laden ihn erst dann auf«, sagte er, während sie würgte. »Der Stromschlag zischt durch den Körper, und man liegt im eigenen Blut und den eigenen Exkrementen da. Äußerst schmerzvoll!«
Sie spürte die heißen Metallspitzen im Hals und stöhnte. Jamil zog den Stab heraus und drückte noch einmal auf den Knopf, sodass sie die blauen Elektroströme aufleuchten sah.
»Ich könnte ihn natürlich auch noch woanders hineinrammen.«
Serena drückte unwillkürlich die Schenkel zusammen.
»Also gut«, sagte Jamil lächelnd und legte den Elektrostab auf den Tisch. »Sie haben offensichtlich verstanden.« Dann nahm er eine Spritze und schlug mit dem Finger kurz an die Nadel. Eine gelbliche Flüssigkeit spritzte heraus. »Dann wollen wir mal.«
***
Nach ein paar Stunden kam Serena wieder zu Bewusstsein. Sie starrte auf eine improvisierte Lampe, die Jamil an der Decke befestigt hatte – der Elektrostab schwang an einem Seil und gab bei jedem Aufblitzen ein makabres Zischen von sich. Sie schloss die Augen. Das Gezische schien immer lauter zu werden. Vielleicht war sie auch nur von den Drogen benommen, die man ihr verabreicht hatte.
Sie spürte, dass noch jemand in der Kammer war, und öffnete die Augen. Sie sah einen langen Schatten an der Wand. Und blickte zur Tür, konnte aber nicht genau erkennen, wer da hereinkam.
»Conrad?«
»Schön, dass Sie noch träumen können, Schwester Serghetti.«
Es war Zawas. Serena ließ den Kopf wieder hängen, während er zu dem kleinen Tisch ging, auf dem Jamil seine Folterinstrumente ausgebreitet hatte.
»Ich habe gehört, dass Sie nicht sonderlich kooperativ waren«, sagte er und prüfte Jamils Spielzeug. »Ich konnte Jamil gerade noch davon abhalten, Ihr Gedächtnis mit seinen chemischen Substanzen für immer auszulöschen. Er ist eine Bestie. Er versaut überall den guten Ruf der Araber. Ehrlich, die meisten von uns sind da ganz anders. Ausnahmen gibt's immer. In Ihrer Kirche gibt es schließlich auch Priester, die sich an Kindern vergehen. Trotzdem geben Sie Ihren Glauben nicht auf. Mir geht es genauso.«
Serena schwieg, während er sich im Raum umsah. Der Rucksack auf dem Boden schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er ging um ihn herum und beobachtete sie dabei. Dann stellte er den Rucksack auf den Tisch und machte den Reißverschluss auf. Er fing an, den Inhalt zu durchwühlen, und begutachtete ihre Sachen – Desinfektionstabletten für Wasser, Flaschen, ein Leuchtsignal und so weiter.
Dann kam ihre Thermosflasche an die Reihe. Als er den Verschluss aufdrehte, bekam sie ein beklemmendes Gefühl. Sie betete, dass er die Zeichnung in der Ummantelung nicht entdecken würde. Ihr war klar, dass die Karte genügend Informationen enthielt, um jene unerschöpfliche Energiequelle im
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