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Stadt unter dem Eis

Titel: Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Greanias
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von ungefähr anderthalb Metern hatte. Conrad hörte ein leises Summen und spürte einen feuchten, öligen Luftzug auf seinen Wangen. Er knipste seine Halogentaschenlampe an. Der Lichtstrahl schoss etwa 15 Meter weit, bis er auf eine emporragende Säule traf und in Sekundenschnelle an drei anderen glänzenden Säulen, die die große umgaben, abprallte. Das grelle Licht blendete immer stärker. Conrad schloss die Augen.
    »Mach das Licht aus!«, rief Yeats. Seine Stimme hallte in der Dunkelheit wider.
    Conrad knipste mit zugekniffenen Augen die Halogenlampe aus. Kurz darauf blinzelte er, sah aber immer noch das blendende Nachleuchten.
    »Diese Lichtsäulen«, sagte Yeats und rieb sich die Augen, »was ist das?«
    »Sie haben selbst keine Lichtquelle. Sie reflektieren und vervielfältigen nur das auftreffende Licht. Pass mal auf.« Conrad holte das Zippo-Feuerzeug aus seiner Hosentasche. »Es hat eine ganz niedrige Wattleistung. Bist du bereit?«
    »Um geblendet zu werden?«
    »So schlimm wird's diesmal nicht. Immer mit der Ruhe. Schütz deine Augen«, sagte Conrad.
    Er setzte selbst seine Sonnenbrille auf und wartete, bis Yeats es ihm gleichgetan hatte. Dann zündete er das Feuerzeug. Die Wirkung ließ sich mit einer einzigen Kerze in einer hohen gotischen Kathedrale vergleichen. Im Dämmerlicht waren sie von vier leuchtenden, durchsichtigen Säulen umgeben, jede etwa sieben Meter im Durchmesser, die siebzig Meter in die Dunkelheit ragten und genauso weit in den Abgrund führten.
    »Das ist also dein so genanntes Heiligtum der Ursonne«, sagte Yeats und starrte nach oben.
    Conrad sah sich um und kam sich sehr klein vor. Ein Nebelschleier haftete an den leuchtenden Säulen, die oben an der höchsten Stelle zu einem Schornstein zusammenzulaufen schienen. Es roch eindeutig nach Öl. Conrad blickte nach unten und fragte sich, wie tief das Heiligtum der Ursonne wohl in die Erde hinunterging und wie weit sie noch gehen mussten, um das Geheimnis der Urzeit zu erkunden. Ehrfurchtsvoll nahm er das alles in sich auf, war sich aber gleichzeitig bewusst, dass die Zeit ziemlich knapp wurde.
    »Schau dir das mal an.« Yeats hielt sein Ersatzfeuerzeug ganz dicht an die glatte, glänzende Säule. Die spiegelnde Oberfläche schien die Helligkeit nicht nur um ein Hundertfaches zu vervielfältigen, sondern sie schien auch zu beben. »Ich wette, diese Oberfläche hat mehr als hundert Prozent Spiegelungskraft.«
    »Und das heißt?«
    »Mit Aluminium kann man es auf maximal achtundachtzig Prozent bringen.«
    »Die Säulen sind aber nicht aus Aluminium.«
    »Stimmt.« Yeats streifte mit der Hand über die Oberfläche. »Die sind aus etwas noch Leichterem.«
    »Noch leichter?« Conrad berührte die Säule. Sie war mit etwas Glitschigem, fast Flüssigem überzogen. Und doch merkte er, dass sie eine wenn auch undefinierbare Struktur hatte. »Sie fühlt sich so weich wie eine Spinnwebe an und gleichzeitig so hart wie Stahl. Wie federleichte Seide.«
    »Weil es sich tatsächlich um ein perforiertes Gewebe handelt. Mit Löchern, die kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts.« Yeats klang merklich erregt. »Ich würde sagen mit einem Durchmesser um einen Mikrometer. Und jetzt? Gehen wir rauf oder runter?«
    Gewebe. Conrad merkte, dass er genau dieses Wort gesucht hatte. Überraschend war nur, dass es ausgerechnet von Yeats kam. Aber er hatte Recht. Diese Säulen waren wie riesige Stoffrollen eines dünnen, leichten und spiegelnden Gewebes, so glänzend, dass man sie für das eigentliche Licht halten konnte, obwohl sie es nur reflektierten.
    »Rauf oder runter, mein Sohn?«, fragte Yeats noch einmal.
    »Rauf«, antwortete Conrad und war über sich selbst erstaunt. In Wirklichkeit hatte er nämlich keine Ahnung. In den alten Texten über die ägyptischen Pyramiden oder in den Überlieferungen der mittel- und südamerikanischen Kultur war er nie auf Vergleichbares gestoßen. Und er konnte sich auch auf keine Kindheitserinnerungen oder Albträume besinnen. Soweit er das beurteilen konnte, bestand die alleinige Bedeutung des hiesigen Obelisken darin, die lebensgroße Ausführung des Obelisken aus der P4 zu sein. Irgendwo in diesem Obelisken war der so genannte Thron des Osiris, der letzte Ruheplatz für das Zepter und für das Geheimnis der Urzeit. Die Frage war bloß, ob er das alles erkennen würde, wenn er es sah, und ob er wissen würde, was er dann zu tun hatte.
    »Es geht nach oben.«
    Tatsächlich. Die Plattform bewegte sich auf einmal wie

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