Stadt unter dem Eis
auf seinem Posten. Der Oberst fluchte leise und ging auf den Vorsprung zurück. Er blickte über den Rand die Wasserfälle hinab, konnte aber nichts erkennen. Als ob Jasir sich in Luft aufgelöst hatte. War er womöglich hinuntergestürzt? So blöd konnte Jasir doch nicht sein.
Zawas zog sein Funkgerät aus dem Gürtel. »Jamil!«, brüllte er hinein. »Trommle deine Leute zusammen. Conrad Yeats ist hier aufgetaucht!«
Aber Jamil antwortete nicht.
»Jamil«, rief Zawas noch einmal, da hörte er auf einmal, wie hinter ihm etwas explodierte.
Es regnete Steinbrocken, und Zawas sah, wie es oben auf der Stufenpyramide grell aufleuchtete. Plötzlich kam der brennende Rumpf eines Eurocopters die Ostfassade herabgestürzt. Stahl schrammte mit ohrenbetäubendem Krach gegen den Stein. Der Hubschrauber kam auf der Plattform auf und explodierte in einem Feuerball. Zawas duckte sich.
»Das Zepter!«, fluchte er.
Er rannte in die Kammer, wo der Obelisk bewacht wurde. Die zwei Wachposten lagen jedoch tot auf dem Boden. Das Zepter war verschwunden.
***
Conrad stürzte mit einer derartigen Wucht in das Wasser unten am Tempel des Wassermanns, dass er glaubte, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Kurz darauf kam er wieder an die Oberfläche, rang nach Luft und stellte fest, dass sein Aufprall dank dem tosenden Wasserfall von den Wachposten unbemerkt geblieben war.
Er schwamm im Dunkeln zum Schlauchboot hinüber, machte es los, kletterte an Bord und startete den Motor. Bis die Wachen merkten, was passiert war und zu schießen anfingen, war er schon hundert Meter entfernt und raste den Kanal entlang.
Er blickte über die Schulter und sah die Explosionen oben auf dem Tempel des Wassermanns. Er sah auch den großen Schatten, der schnell auf ihn herunterkam – einer von Zawas' Hubschraubern. Ohne Licht flog er praktisch im Tiefflug über ihm und verdeckte die Sterne. Conrad warf den höchsten Gang ein, konnte ihn aber nicht abschütteln.
Der Hubschrauber flog über ihn hinweg und landete ein paar hundert Meter weiter auf der Randbefestigung des Kanals. Als Conrad näher kam, sah er, wie ihn jemand zu sich winkte.
Es war Yeats. In der Hand hielt er das Zepter des Osiris.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Conrad, als er am Ufer anhielt.
»Bin den Schüssen gefolgt.« Yeats stieg in das Schlauchboot. »Weißt du inzwischen, wo sich das Heiligtum befindet?«
Conrad sah auf den Helikopter und schüttelte den Kopf. »Wie konntest du damit unentdeckt entkommen?«
»Ich musste ein Ablenkungsmanöver veranstalten und gleichzeitig Zawas einen Wink geben.«
Conrad verspürte das stechende Gefühl des Betrogenseins, das er aus seiner Kindheit kannte. »Du hast das Zepter genommen, aber Serena zurückgelassen?«
»Ich hatte kaum eine andere Wahl, nachdem ich dich mit Jamil gesehen habe, mein Sohn«, antwortete Yeats in nüchterner, knapper Militärsprache. »Mir war klar, dass unser Plan gescheitert ist. Deshalb habe ich genommen, was ich kriegen konnte – und dann nichts wie weg. Noch mal: Hast du nun das Heiligtum gefunden oder nicht? Zawas hat die Schnauze gestrichen voll und ist hinter uns her.«
Conrad strich sich eine nasse Haarsträhne aus der Stirn. »Ja, ich habe es gefunden. Es liegt direkt vor uns.«
»Braver Junge.« Yeats nickte anerkennend. »Also, los geht's.«
Sie folgten dem Wasserweg in einen Tunnel. Conrads GPS-Anzeige führte sie durch einen dunklen schmalen Gang, der vom unterirdischen Kanal abzweigte. Am Ende befand sich eine Art Steingitter.
»Das ist die Tür zum Heiligtum der Ursonne. Da unten ist es. Ungefähr dreihundert Meter tief.«
Sie ließen das Schlauchboot als Köder den Tunnel hinuntertreiben.
Conrad sah, wie das Boot in der Dunkelheit verschwand, und blickte auf seine Uhr. Die Zeit drängte. Es war gleich Viertel nach fünf. Über der Stadt waren bereits die ersten Anzeichen des Tagesanbruchs zu sehen.
Sie gruben das Steingitter aus und legten eine Einstiegsöffnung in der Größe eines Kanalschachts frei. Sofort ließen sie sich in das Labyrinth unterirdischer Gänge hinunter, das immer tiefer in die Erde führte. Nach einer halben Stunde erreichten sie einen langen dunklen Tunnel, an dessen Ende blaues Licht zu sehen war.
»Wir sind da«, sagte Conrad.
Yeats zog seine Taschenlampe heraus. Der Lichtstrahl enthüllte eine Tür. Sobald sie unter dem blauen Licht durchgegangen waren, schob sich die Tür auf, und sie konnten in eine dunkle Höhle treten. Dieser Raum war der größte,
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