Stadt unter dem Eis
durchsichtiger Schultergurt war über dem Mittelring verkreuzt und mit einem Sortiment beeindruckender Gerätschaften glanzvoll bestückt: Werkzeuge und möglicherweise Waffen.
»Großer Gott«, murmelte Conrad.
»Wenn Mutter Erde Recht hat, ist Gott gar nicht so groß«, sagte Yeats. »Der hier misst ungefähr drei Meter.«
Conrad zündete das Zippo-Feuerzeug und hielt es dicht an die Rüstung. Was auch immer das Material sein mochte, es war auf jeden Fall feuerfest. Aber die Rüstung bot ihrem Träger nur teilweise Schutz. Bei der Größe benötigte das Geschöpf wahrscheinlich auch nicht mehr.
Ein Geschöpf, dachte er. Das soll sein Vater gewesen sein? War er auch ein Geschöpf? Er hatte mit dem Mann neben ihm mehr gemein als mit dem Geschöpf, für das diese Rüstung gemacht war.
»Mit diesem Wesen hier bin ich garantiert nicht verwandt«, sagte Conrad zu Yeats. »Das hätte man in meiner DNS-Analyse sonst auch herausgefunden.«
»Wenn das stimmt, was Serena sagt, und die Bewohner von Atlantis die so genannten ›Söhne Gottes‹ aus der Schöpfungsgeschichte sind, dann hat dein biologischer Vater ein oder zwei Generationen später gelebt und war da schon mehr oder weniger menschlich.«
»Mehr oder weniger menschlich?«, wiederholte Conrad. »Das klingt ja noch …«
»Jetzt zeig mir verdammt noch mal endlich den Thron des Osiris. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Conrad nickte. »Er muss hier irgendwo ganz in der Nähe sein. Wenn wir uns aufteilen, finden wir ihn schneller.«
»Dann nimm du das hier.«
Yeats warf Conrad das Zepter des Osiris zu, und er fing es mit einer Hand auf. Es vibrierte buchstäblich vor Urkraft.
»Stell deine Kopfhörer jetzt auf die Notfrequenz ein«, sagte Yeats. »Da wo der kleine blaue Streifen klebt.«
»Hab schon verstanden.« Conrad stellte die Frequenz ein. »Test.«
»Test.«
Sie fuhren mit ihren Erkundungen fort, und Conrad hörte unterdessen Yeats' raue Stimme in seinem rechten Ohr. Aber schon bald war er außer Reichweite. Nachdem Conrad im oberen Teil des Obelisken alles gründlich untersucht hatte und zur Plattform in der Mitte zurückkehrte, war von Yeats nichts zu sehen. Conrad fühlte sich alleine. Er war enttäuscht, dass er nichts entdeckt hatte, und fragte sich, wo Yeats abgeblieben war und ob er wohl etwas herausgefunden hatte.
Conrad stand auf der Plattform oben und dachte über das merkwürdige Innere des Obelisken nach. Auch wenn ihm alles fremd erschien, so gab es an diesem Ort doch etwas, das ihm die innere Gewissheit gab, schon einmal hier gewesen zu sein. Zumindest an einem ähnlichen Ort. Eine innere Stimme drängte ihn, an die Decke zu schauen. Irgendetwas ließ ihm keine Ruhe. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe hoch und entdeckte etwas, was ihm zuvor entgangen war: ein kleines quadratisches Feld, das genau dem zuvor glich.
Da oben musste es noch eine versteckte Kammer geben, sagte er sich aufgeregt.
Das Quadrat befand sich zwei Meter über ihm.
Mit dem Kontrollhebel gelang es ihm, die Plattform eine halbe Ebene höher fahren zu lassen, ohne dabei an der Decke zerquetscht zu werden. Er legte die Hand auf das quadratische Feld. Plötzlich erschien der äußere Ring einer Art Bodenluke, die sodann aufbrach und die Sicht in eine weitere Kammer mit einem Gewölbe wie in einer Kathedrale freigab – eindeutig die oberste Kammer des Heiligtums.
Conrad fuhr mit der Plattform bis ganz auf die höchste Ebene hoch. Mit seiner Lampe leuchtete er die Kammer aus. Ein großer Thron mit Lehne kam zum Vorschein, der waagerecht auf einer Art Altar lag und auf den höchsten Punkt des Gewölbes ausgerichtet war.
Heureka – ich habe ihn gefunden, dachte Conrad. Den Thron des Osiris!
»Jawohl!«, rief Conrad laut. Aufgeregt fummelte er an seinem Funkgerät herum. »Yeats, ich habe ihn gefunden.«
Keine Antwort. Wo zum Teufel war er nur?
»Yeats.« Unheimliches, beunruhigendes Schweigen.
Er drehte die Lautstärke auf, bis das Rauschen im Ohr schmerzte, hörte aber immer noch nichts. Er schaltete das Gerät wieder aus und fragte sich, was Yeats wohl vorhatte. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Er konnte jetzt jedenfalls nicht länger auf ihn warten.
Langsam drehte er den leeren Thron und sah sich um. Im Lichtschein war sonst nichts in der Kammer zu entdecken. Weder Artefakte noch Zeichnungen, noch irgendein Hinweis darauf, dass dieser Raum schon einmal betreten worden war. Irgendwie kam ihm trotzdem
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