Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
nötig.«
Michael riß in gespieltem Entsetzen die Augen auf. »Sieh mal einer an, wer hier auf seine alten Tage unanständig wird.« Mary Ann streckte ihm geziert die Zunge raus.
Mrs. Madrigal rührte gedankenverloren in ihrem Kaffee und murmelte: » _______ ______.« Sie sprach den Namen
des Lieblings aller Frauen aus, als wäre er eines von Monas Mantras. »Na, es wundert mich jedenfalls nicht. Er war schon immer ein Prachtkerl. Erinnert ihr euch noch, wie er in _______ das Hemd ausgezogen hat?« Die Vermieterin stieß einen langen Seufzer aus. »Ich hab ihn sehr bewundert damals … als junges … Etwas.«
Mrs. Madrigals Mieter lachten über die neckische Anspielung auf ihre ungewöhnliche Vergangenheit. Dann erhob Michael sein Glas: »Stoßen wir auf unser Geburtstagskind an … das es uns allen nachmacht und jetzt ein altes Etwas wird.«
Mary Ann beugte sich zu ihm hinüber und küßte ihn auf die Wange. »Arschloch«, flüsterte sie.
Dann drehte sie sich zur anderen Seite und gab Brian einen flüchtigen Kuß auf den Mund.
Michael schloß den Kreis, indem er Brian einen Kuß zuwarf.
Mrs. Madrigal hatte die Hände unter dem Kinn verschränkt, lächelte zufrieden und beobachtete das Ritual wie eine begeisterte Kupplerin. »Wißt ihr«, sagte sie, »ihr drei seid mein liebstes Paar.«
Nach dem Essen stellte die Vermieterin einen Wedgwood-Teller mit Barbara-Stanwyck-Joints auf den Tisch. Danach gab es Torte und Eis und Mary Anns Geschenke: eine Flasche »Opium« von Brian, eine Katze als Anstecknadel von Michael, eine antike Teekanne von Mrs. Madrigal.
»Wenn die Herren uns freundlichst entschuldigen«, verkündete Mrs. Madrigal, »würde ich Mary Ann jetzt gerne das Tarot legen.«
Mary Ann machte große Augen. »Ich hab gar nicht gewußt, daß Sie das können!«
»Ich kann’s auch nicht«, erwiderte Mrs. Madrigal, »aber ich erfinde wundervolle Dinge.«
Also zogen Brian und Michael sich auf das Dach zurück und betrachteten die Bay mit den Augen von Miss Stanwyck.
»Weißt du was?« sagte Brian.
»Was?« sagte Michael.
»Sie hat recht. Mrs. Madrigal, meine ich. Wir drei machen so viel gemeinsam, daß wir fast wie ein Paar sind.«
»Ja. Wahrscheinlich. Stört dich das?«
Brian dachte kurz nach. »Nö. Du bist mein Freund, Michael. Und sie ist deine Freundin, und … Herrgott, was weiß ich.«
Michael reichte den Joint an Brian zurück. »Es gibt viele Leute, die zu dritt was unternehmen. Schau dir mal das Publikum an, wenn wir nächstesmal ins Theater gehen.«
Brian lachte. »Trisexuelle. Hast du sie nicht so genannt?«
»Nur, weil ich keinen besseren Ausdruck kenne.«
Brian legte Michael den Arm um die Schulter. »Weißt du, was mich nervt, Michael?«
Michael wartete.
»Es nervt mich total, daß ich ihr nie alles sein kann, was sie braucht.«
Michael lächelte matt. »Das kenn ich.«
»Ja?«
»Und ob. Ich hab mir mal den Arsch aufgerissen, weil ich einem Kerl alles sein wollte. Am Ende hab ich mich damit abfinden müssen, daß ich jedem nur was Bestimmtes bin.«
»Und was ist das?«
Michael zögerte. »Mensch, ich hab gedacht, du kannst mir das sagen.«
Brian lachte und drückte Michaels Schulter. »Du bist vielleicht verrückt.«
»Vielleicht ist das das Bestimmte.«
»Weißt du was?« Brian sah seinen Freund direkt an. »Ich hab dich gern, Michael. Ich liebe dich wie meinen Bruder.«
»Kein Scheiß?«
»Kein Scheiß.«
Einen kurzen, sehr kurzen Moment lang sahen sie sich mit ungenierter Zuneigung an. Dann griff Michael wieder nach dem Joint und machte einen Zug. »Ist dein Bruder niedlich?« fragte er.
Pater Paddy
Da Prue Giroux sich entschieden hatte, im Park nach ihrem entlaufenen Wolfshund zu suchen, verbrachte sie den Vormittag bei Eddie Bauer, um die für dieses Unterfangen geeignete Safarijacke auszusuchen. Zu ihrer Überraschung begegnete sie in der Abteilung für Campingzubehör einem der regelmäßigen Teilnehmer an ihrem Forum.
»Pater Paddy!«
Als Pater Paddy Starr sich mit scharfem Schwung – so scharf, daß sein Kruzifix Prues Brust streifte – seinem Publikum zuwandte, zeigte er das strahlende Grinsen, mit dem er die Zuneigung von Tausenden Spätprogrammguckern in der Bay Area gewonnen hatte.
»Prue, welche Überrraaaaschung!« Er drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf beide Wangen und hielt sie dann auf Armeslänge von sich ab, als wollte er die Ware auf Qualitätsmängel untersuchen. »Was machen Sie denn in diesem Laden für Rauhbeine und
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