Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
untertassengroßen Augen liebevoll an. »Sie macht sich sehr viel aus dir, junger Mann.«
Brian riß ein Büschel Gras ab und fing an, es kleinzureißen. »Hat sie Ihnen das gesagt?«
»Na ja … nicht mit so vielen Worten …«
»Man braucht nur drei.« In seiner Stimme klangen Zweifel mit. Intensiver, als ihm lieb war. »Ich weiß nicht«, fügte er eilig hinzu, »vielleicht ist es nur ihre Arbeit oder so. Sie ist dermaßen besessen von dem Wunsch, Reporterin zu werden, daß sonst nichts mehr zählt. Ich weiß auch nicht. Vergessen Sie’s. Es ist nicht wichtig.«
Mrs. Madrigal lächelte versonnen und strich ihm die Haare aus der Stirn. »Ist es aber doch, was? Es ist sogar schrecklich wichtig.«
»Früher war’s das nicht«, sagte Brian.
Die Vermieterin bekam große Augen. »Oh, ich weiß, wie das ist.«
»Ich möchte, daß es diesmal klappt, Mrs. Madrigal. Ich hab mir noch nie etwas so sehr gewünscht.«
»Dann wirst du es auch kriegen«, sagte die Vermieterin. »Meine Kinder bekommen immer, was sie wollen.« Sie drückte freundschaftlich Brians Knie.
»Aber sie ist auch eins von Ihren Kindern«, sagte Brian. »Was ist, wenn sie was anderes will?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Mrs. Madrigal, »aber du mußt mit ihr Geduld haben. Sie übt sich grade in der Kunst des Fliegens.«
Oh, Wildnis!
Der San Francisco Gay Men’s Chorus zog sich mindestens zweimal pro Jahr zu einem Wochenende der intensiven Proben und der Lagerfeuerromantik in die Wildnis von Nordkalifornien zurück.
Die »Wildnis« war immer die gleiche: Camp Eisenblatt, ein Sommerlager für jüdische Teenager, dessen im Wald gelegene Einrichtungen außerhalb der Saison an die hundertfünfzig Mitglieder des schwulen Männerchors vermietet wurden. Und von Saison war im Moment wirklich nicht zu sprechen.
»So ein Mist!« stöhnte Michael und starrte in den strömenden Regen hinaus. »Ich wollte mir dieses Wochenende den ersten Hauch von einem Badehosenstreifen ersonnen.«
Ned lachte und hängte einen olivgrünen Jockstrap auf die Wäscheleine, die quer über den hinteren Teil der Baritonschlafbaracke gespannt war. »Cowboys haben sowieso keinen Badehosenstreifen«, sagte er.
Da das Motto des aktuellen Wochenendes »Viehtrieb im Frühling« lautete, trat das Westernmotiv überall in Erscheinung. Sogar an ihren Namensschildern hingen Stoffteilchen von Cowboyhalstüchern: rote bei den ersten Tenören, gelbe bei den zweiten Tenören, hellblaue bei den Baritonen, braune bei den Bässen und dunkelblaue bei den nichtsingenden »Chorwitwen«, die mitgekommen waren, um sicherzustellen, daß ihre Liebhaber in den Redwoodwäldern nicht z u viel Spaß hatten.
»Egal«, sagte Michael. »Das Hawaii-Fest und das Dreißig-Grad-Wetter letzten Herbst haben mir jedenfalls besser gefallen.«
»Und die Sarongs«, ergänzte Ned. »Ich dachte schon, wir kriegen dich nie wieder raus aus dem Ding.«
Michael inspizierte mit einem vergnügten Blick seine Fingernägel. »Soweit ich mich erinnern kann, ist es einem ersten Tenor gelungen.«
»Diesmal sind andere Phantasien dran«, sagte Ned. »Tu so, als ob du in einer richtigen Schlafbaracke wärst. Du bist grade von einem langen, heißen Viehtrieb reingekommen, und jetzt kühlt der Regen die Herde ein bißchen ab.«
»Genau. Und mein alter Kumpel Lonesome Ned fönt gleich seinen Jockstrap trocken. Hör mal, Sportsfreund, ich weiß nicht, wie ich dir das schonend beibringen soll, aber in einer richtigen Schlafbaracke steht nicht mit rosa Nagellack REBECCA IST EINE FETTE QUALLE an der Klowand.«
Ned lächelte träge. »Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
Nachdem sie sich den ganzen Vormittag mit Liszts Requiem und Brahms’ Altrhapsodie herumgeschlagen hatten, strömten die Chormitglieder zum Mittagessen in den Speisesaal von Camp Eisenblatt. Es gab Mortadella-Sandwiches und Kool-Aid.
Später saßen Michael, Ned und ein Dutzend ihrer Sangesbrüder angeregt tratschend vor dem Kamin. In dem großen Raum waren so viele unterschiedliche Plaids versammelt, daß es aussah wie bei einem schottischen Clantreffen.
»Ach so«, sagte Ned, der sich an den gasbefeuerten Holzscheitimitationen den Hintern wärmte. »Das hätt ich fast vergessen. _______ hat mich angerufen.«
»Tatsächlich«, sagte Michael mit unverhüllter Bewunderung. Es war fast unvorstellbar, daß jemand aus seinem Freundeskreis von einem Filmstar persönlich angerufen wurde. Selbst wenn Ned der Liebhaber dieses Filmstars
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