Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
gewesen war.
»Er ist völlig deprimiert«, sagte Ned. »Man hat das Musical abgesetzt, mit dem er im Sommer auf Tournee gehen sollte.«
»Er singt?«
Ned zuckte mit den Schultern. »Wenn man so aussieht wie er, fällt keinem was auf.«
»Sag ihm, er soll mit uns kommen«, schlug Michael in Anspielung auf die geplante Neun-Städte-Tournee des Chors im Sommer vor. »Mensch, das würde die Leute in Nebraska aber umhauen.«
»Ich denke, er kommt drüber weg«, sagte Ned. »Er kriegt immer noch zwei Millionen pro Film.«
Michael pfiff durch die Zähne. »Wo läßt er das viele Geld denn?«
»Das meiste gibt er für seine Freunde aus. Und für das Haus. Willst du es sehen?«
»Äh … wie bitte?«
»Er hat mich eingeladen, mal ein Wochenende runterzukommen. Und ich soll einen Freund mitbringen. Hast du Lust?«
Michael kreischte fast. »Ich? Im Ernst? Heiliger Strohsack! Ich im Haus von _______? Echt?«
Ned nickte. Er strahlte wie ein Vater, der seinem Achtjährigen gerade einen Ausflug nach Disneyland angeboten hat.
Sie fuhren mit Neds Pickup in die Stadt zurück. Auf der Ladefläche nahmen sie sechs ihrer Kumpel und deren zusammengerolltes Bettzeug mit.
Man hätte sie für richtige Kerle halten können – wären da nicht die verräterischen hellgrünen Petticoats aus dem Andrew-Sisters-Sketch vom Abend davor gewesen. Und natürlich die drei identischen kastanienbraunen Perücken auf Styroporköpfen.
An einem Stoppschild vor dem K-Mart von Saratoga hielt Ned neben einem bronzefarbenen, mit rosa Toilettenpapier geschmückten Barracuda, der eine gesprayte Aufschrift hatte: FRISCH VERHEIRATET – SIE HAT IHN HEUT FRÜH GEKRIEGT – ER KRIEGT SIE HEUT NACHT.
Hinten auf der Pritsche erscholl vielstimmiges Juchzen.
Der Bräutigam, schmuck anzusehen in seinem taubenblauen Smoking mit passendem Kräuselhemd, machte nach einem nervösen Seitenblick ein finsteres Gesicht und wandte sich wieder seiner Braut zu. Michael sah, wie sich auf seinen Lippen das Wort »Schwuchteln« formte.
Er kurbelte das Fenster herunter und rief dem Ehepaar ein »Hallo!« zu. Sie fuhren inzwischen wieder, doch Ned hielt den Pickup auf gleicher Höhe mit dem anderen Wagen.
»Ja?« sagte der Bräutigam.
»Herzlichen Glückwunsch!« brüllte Michael.
»Danke!« rief die Braut, klammerte sich aber weiter an den freien Arm ihres Mannes.
»Was ist euer Lied?«
»Hm?«
»Euer Lied. Wie heißt es?«
Die Braut strahlte. »›We’ve Only Just Begun‹.«
Michael brüllte nach hinten zu den Jungs auf der Pritsche: »LOS GEHT’S, MÄDELS!«
Die Andrews Sisters hatten noch nie schöner gesungen.
Tratsch über Idole
Erst als alle zu Mary Anns Geburtstagsessen versammelt waren, verkündete Michael die Neuigkeit.
Die Verblüffung war bei Mary Ann am größten.
»Jetzt halt aber mal die Luft an!«
Michael hob die Hand. »Pfadfinderehrenwort, mein Schatz. Ned hat mich gestern eingeladen.«
»Das bezweifle ich gar nicht«, sagte Mary Ann, »aber, soll das heißen, daß _______ _____ schwul ist?«
»Genau. Schwul wie nur was«, sagte Michael.
»Mein Gott«, sagte Brian, der sich gerade ein dickes Stück Braten absäbelte. »Das hab ja sogar ich gewußt. Erinnerst du dich an die Geschichte von seiner schwulen Hochzeit mit diesem ______ _______ vor …?«
»Na ja, die hab ich natürlich gehört, aber …« Mary Ann stotterte fast. Sie fand es unerträglich, wenn ihre Clevelander Naivität durchkam wie ein über Nacht aufgeblühter Pickel. »Na ja, ich hab immer gedacht, daß es bloß ein … ein schlechter Witz war.«
»Es war auch ein schlechter Witz«, sagte Michael. »Ein paar gelangweilte Tunten aus Hermosa Beach oder so haben getürkte Hochzeitseinladungen verschickt … und damit haben die Gerüchte dann angefangen. Dabei waren _______ und _______ nicht mal zusammen. Bloß befreundet. Aber von da an haben sie sich nicht mehr gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigen können. Das hätte die Gerüchte nur bestätigt.«
»Nennst du ihn immer beim Vornamen, wenn du von ihm sprichst?« neckte ihn Mary Ann.
Er grinste. »Ich übe noch.«
Mrs. Madrigal häufte noch mehr Möhren auf Michaels Teller. »Ist das nicht eine ziemlich traurige Geschichte?«
Michael nickte. »Es muß grauenhaft gewesen sein, sein Schwulsein über so viele Jahre zu verheimlichen.«
»Klar«, sagte Brian mit vollem Mund, »aber bei zwei Mios pro Film muß ihm doch jedesmal ganz warm werden.«
Mary Ann kicherte. »Dabei hätte er das doch gar nicht mehr
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