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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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Tür.« Sie stand auf, so daß Mary Ann der Abgang leichter wurde.
    »Viel Glück«, sagte die Matriarchin. »Machen Sie eine gute Figur.«
    »Danke«, antwortete Mary Ann. »Tschüs, D’orothea.«
    »Tschau, Liebes. Wir sehn uns bald mal, ja?« Wenn die alte Schachtel nicht dabei ist, war damit gemeint.
    »Wo geht sie hin?« fragte Edgar seine Großmutter.
    »Zu einem Fernsehauftritt, mein Engel. Anna, mein Schatz, kratz dich nicht da.«
    »Warum?«
    »Frag nicht. Es ist nicht damenhaft.«
    »Die Kinder sehen fabelhaft aus«, sagte Mary Ann. »Ich kann es nicht fassen, wie groß sie schon sind.«
    »Tja … Du, das von vorhin tut mir leid.«
    »Ach, was soll’s.«
    »D’or haßt solche Anlässe. Mit Mutter allein geht’s noch, aber wenn Mutters Bekannte dazukommen …« Sie schüttelte matt und schicksalergeben den Kopf. »Sie nennt sie ›Die verkrusteten Zehntausend‹. Die radikale Linke steckt ihr noch arg in den Knochen.«
    Mag sein, dachte Mary Ann, doch allmählich fiel es schwer, sich daran zu erinnern, daß die Frau in dem Zandra-Rhodes-Kleid und mit dem Hauch Lila im Haar einst mit DeDe im Dschungel von Guyana geschuftet hatte. Auch DeDes Entwicklung – von der Debütantin zur Stadtguerilla und zur Junior-League-Matrone – war reich an Widersprüchen, und manchmal hatte Mary Ann das Gefühl, daß die peinliche Verlegenheit, die sie angesichts eines derart wirren Lebens empfanden, das Bindemittel war, das die ›Ehe‹ der beiden zusammenhielt.
    DeDe bedachte ihr Dilemma mit einem milden Lächeln. »Weißt du, ich hab es nicht drauf angelegt, mal so eine Familie zu haben.«
    Mary Ann erwiderte das Lächeln. »Und ob.«
    »Anna hat Edgar neulich eine Schwuchtel genannt. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Mein Gott. Wo hat er das denn aufgeschnappt?«
    DeDe zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich in der Montessorischule. Herrgott, ich weiß nicht … manchmal denke ich, ich komme überhaupt nicht mehr mit. Ich weiß nicht, wie ich mir selbst die Welt erklären soll, geschweige denn meinen Kindern.« Sie machte eine Pause und sah Mary Ann an. »Ich hatte gehofft, darüber könnten wir uns inzwischen längst austauschen.«
    »Über was?«
    »Kinder. Ich dachte, du und Brian wollten … Gott, was sagt man dazu. Ich rede schon wie Mutter.«
    »Macht doch nichts.«
    »Du hast so was gesagt … als wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
    »Stimmt.«
    »Aber ich nehme an … die Karriere macht es einigermaßen schwer …« Sie verstummte. Offenbar fand sie es peinlich, daß sie sich anhörten wie zwei Hausfrauen auf Einkaufsbummel in Sacramento. »Sag mir, wenn ich den Mund halten soll, okay?«
    Zu Mary Anns Erleichterung hatten sie mittlerweile den Ausgang erreicht. Sie gab DeDe einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Ich freu mich, daß du nachgefragt hast«, sagte sie. »Nur, im Moment … ist das Thema auf Sparflamme.«
    »Schon verstanden«, sagte DeDe.
    Wirklich? dachte Mary Ann. Hatte sie den wahren Grund erraten?
    Heftiger Regen prasselte auf die Markise über dem Eingang des Restaurants. »Sind das deine Leute?« fragte DeDe und zeigte auf Mary Anns Kamerateam.
    »Das sind sie.« Sie wirkten mißmutig und waren klitschnaß. Der Gedanke, ihnen noch mehr Nässe und Verdruß zumuten zu müssen, stimmte sie nicht gerade froh. »Danke für den Tip«, sagte sie zu DeDe.
    »Schon gut«, erwiderte ihre Freundin. »Du hattest noch einen gut bei mir.«

Die Sache mit dem Baby
    Brian Hawkins kam von der Arbeit nach Hause, fand die Nachricht seiner Frau und ging nach oben in das Häuschen auf dem Dach, um sich ihre Sendung anzusehen. Das winzige Penthouse war einmal seine Junggesellenbude gewesen und diente jetzt allen Bewohnern der Barbary Lane 28 als Fernseh- und Aufenthaltsraum. Er schien es allerdings immer noch häufiger zu benutzen als die anderen.
    Das machte ihm manchmal Sorgen. Er fragte sich, ob er ein ausgewachsener TV-Junkie geworden war, ein chronischer Eskapist, der die Glotze brauchte, um eine Leere zu füllen, die er selbst nicht mehr ausfüllen konnte. Wenn Mary Ann nicht zu Hause war, konnte man ihn fast immer in seinem Fernsehnest antreffen, wo er sich von dem Quasar einlullen ließ.
    »Brian, Lieber?«
    Mrs. Madrigals Stimme ließ ihn zusammenfahren. Ihre Schritte auf der Treppe waren von Supertramps »It’s Raining Again« auf MTV übertönt worden. »Oh, hallo«, sagte er und drehte sich mit einem Grinsen zu ihr um. Sie trug einen blaßgrünen Kimono, und ihr Haar umschwebte das eckige

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