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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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achtunddreißig.«
    »Uralt«, sagte die Vermieterin.
    »Wenn’s um Kinderkriegen geht, ja. Jetzt heißt es scheißen oder runter vom Pott.«
    Mrs. Madrigal verzog das Gesicht und zupfte ihren Kimono zurecht. »An deinen Metaphern mußt du noch arbeiten, mein Lieber. Sag mal, wann hast du das letzte Mal mit ihr darüber gesprochen?«
    Er überlegte einen Augenblick. »Vor drei Monaten vielleicht. Und sechs Monate davor.«
    »Und?«
    »Sie sagt jedesmal, wir sollten noch warten.«
    »Auf was?«
    »Das möchte ich auch wissen. Vielleicht, daß sie Chefmoderatorin wird? Das ergäbe ’ne Menge Sinn. Wie viele schwangere Moderatorinnen haben Sie schon gesehen?«
    »Ein paar muß es schon gegeben haben.«
    »Sie will nicht«, sagte er. »Das ist alles. Das ist die Wahrheit hinter den ganzen Ausflüchten.«
    »Das weißt du doch nicht«, meinte die Vermieterin.
    »Ich kenne sie.«
    Mrs. Madrigal schaute wieder hinaus zum Leuchtfeuer von Alcatraz. »Sei dir da nicht so sicher«, sagte sie.
    Das irritierte ihn. Als er sie fragend ansah, hatte sie die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. »Hat sie mit Ihnen gesprochen?« fragte er. »Hat sie was gesagt vom … Kinderkriegen?«
    »Nein«, sagte die Vermieterin hastig. »Das würde sie nie.«
    Ihm fiel ein, daß es höchste Zeit war, und er griff zur Fernbedienung. Auf Knopfdruck erschien Mary Anns Gesicht auf dem Bildschirm, nur wenig überlebensgroß. Sie stand in einer Gasse hinter dem Trader Vic’s, und ihr Lächeln war schwer nachvollziehbar angesichts der vielen blau uniformierten Polizisten, die sie umringten.
    Mrs. Madrigal strahlte. »Meine Güte, sieht sie nicht einfach fabelhaft aus?«
    Sie sah noch besser aus. Eine Woge zärtlicher Gefühle durchströmte ihn, und einige Augenblicke sah er mit einem stolzen Lächeln auf den Bildschirm. Dann wandte er sich wieder seiner Vermieterin zu. »Sagen Sie mir Ihre ehrliche Meinung.«
    »Na gut.«
    »Sieht sie wie eine Frau aus, die ein Kind will?«
    Mrs. Madrigal furchte erneut die Stirn. Sie betrachtete lange und eingehend Mary Anns Gesicht. »Tja«, begann sie und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Lippen, »dieser Hut ist verräterisch.«

Ein Ehrenamtlicher
    Michael Tolliver hatte den Nachmittag im Castro verbracht.
    Jetzt war Rush-Hour, und die jungen Männer, die in den Banken arbeiteten, eilten nach Hause zu den jungen Männern, die in den Kneipen arbeiteten. Von einem Fensterplatz im Twin Peaks sah er zu, wie sie aus der U-Bahn-Station strömten und nur kurz innehielten, um ihre Schirme aufzuspannen – es sah aus, als würde jeder mit einer Armbrust auf den Regen anlegen. Ihre Gesichter wirkten abgekämpft und verwirrt wie Gesichter von Häftlingen, die sich irgendwie einen Tunnel in die Freiheit gebuddelt haben.
    Er trank sein Mineralwasser aus und verließ die Bar. Bei dem Mann, der an der Ecke Herrenknirpse verkaufte, löhnte er drei Dollar. Er hatte seinen letzten verloren, und den davor hatte er wegen einer gebrochenen Speiche wegwerfen müssen, aber drei Dollar waren nichts, und Wegwerfschirme fand er eine gute Idee. Es hatte keinen Sinn, sich an einen Schirm zu gewöhnen und sentimental zu werden.
    Nachdem er beschlossen hatte, in der Sausage Factory eine Pizza zu essen, ging er die Castro Street hinunter, vorbei an den Kinos und Croissant/Konfekt/Postkarten-Shops. Als er die Eighteenth Street überquerte, schlappte ein Stadtstreicher auf die Kreuzung und schrie hinter einer modisch gekleideten Schwarzen in einem Mitsubishi her: »Geh zurück nach Japan!« Michael sah ihr in die Augen und lächelte. Sie lohnte es ihm mit einem freundschaftlichen Schulterzucken, einem gängigen Ausdruck sozialer Telepathie, der in diesem Fall zu besagen schien: »Den können wir wohl auch abschreiben.« An manchen Tagen war das alles, was man an Menschlichkeit erwarten konnte – dieser kummervolle, verzeihende Blick, wie ihn Überlebende austauschen.
    In der Sausage Factory war es so warm und gemütlich, daß er sich wider besseres Wissen dazu hinreißen ließ, einen halben Liter vom roten Hauswein zu bestellen. Was als milder Flirt mit der Erinnerung anfing, degenerierte zu tränenreichem Selbstmitleid, als der Alkohol zu wirken begann. Er versuchte, sich abzulenken, und musterte die angestrengt witzige Wanddekoration, doch sein Blick verhakte sich ausgerechnet an einer Bierreklame für Pabst Blue Ribbon mit dem Spruch: SITZEN SIE NICHT NUR DA – NERVEN SIE IHREN MANN. Sein Gesicht war naß von Tränen, als der

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