Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
das Projekt macht Lust aufs Gärtnern.« Wer hätt’s gedacht.
Was steckt hinter dem Erfolg dieser neuen Gärten? Was zieht all diese verschiedenen Großstädter hierher? Die Soziologin Christa Müller fasst es zusammen: »Man geht in den Garten, um Kartoffeln anzubauen oder um sich unter einen Baum zu setzen. Man kann sprechen, man muss aber nicht. Man kann einfach nur verweilen. Oder gießen, auch einmal auf Nachbarbeeten, wenn andere verhindert sind. Man kann Überschüsse vom eigenen Beet verschenken, sich in Kooperation üben. Unweigerlich kommt man in Kontakt mit anderen – und damit immer auch in Kontakt mit sich selbst. Über dem Garten liegt ein großer Sinnkontext. Es ist der Sinnkontext der Produktivität, der Versorgung, der Zuwendung und des Lernens.«
Urban Gardening 3.0
Und wie geht es weiter? Was wird aus der neuen Gartenbewegung, die das Leben in unseren Großstädten noch lebenswerter macht? Bleibt sie eher ein »Statement«, wie Christa Müller schreibt, eine Hobbykultur mit mehr oder weniger politischem Hintergrund? Oder besitzt sie das Potenzial, zu einer Versorgungsalternative zu wachsen? Zu einer ernst zu nehmenden Alternative oder zumindest Ergänzung zur Agrarwirtschaft auf dem Land? Wohlgemerkt nicht, um das Landleben zu imitieren, sondern um die Nahrungsmittel dort zu produzieren, wo sie auch verköstigt werden: in der Stadt.
Zur Abwechslung kann hier mal eine Kleinstadt als Inspirationsquelle dienen. Das beschauliche Andernach, zwischen Bonn und Koblenz gelegen, kultiviert schon heute die »essbare Stadt«. Statt Geranien haben die städtischen Gärtner 2010 begonnen, Tomaten oder Kürbisse in die öffentlichen Blumenkübel zu pflanzen, statt Thujabüschen schmücken Beerensträucher die Straßenränder, auf der Rasenfläche vor den alten Befestigungsanlagen ranken sich Bohnen gen Himmel. Spaziert man durch die Stadt, meint man, eine ganze Armee Guerillagärtner habe gewütet – allerdings eine sehr ordentliche. Gleich mehrere Bohnensorten winden sich über stabile Trägerkonstruktionen, im Beet vor der Befestigungsmauer leuchten pinkfarbene Mangoldblätter farblich passend zu orangenen Zucchiniblüten. Und das Beste daran: Auch hier gilt das Allmendeprinzip: Die Andernacher Nutzpflanzen gehören allen Andernachern, pflücken und ernten ist ausdrücklich erlaubt.
»Entgegen aller Unkenrufe läuft das Prinzip sogar sehr gut«, bestätigt Lutz Kosack vom Andernacher Stadtplanungsamt. »Morgens ernten die Kindergartenkinder und Schüler, nachmittags die Erwachsenen und abends flanierende Liebespärchen. So teilt sich alles halbwegs fair auf.« Konflikte? Sind selten, sagt Kosack. Wenn einer auf dem Egotrip die Privaternte übertreibe, mischen sich andere ein. »Die Bürger nehmen die Grünflächen wieder mehr als Gemeinschaftseigentum wahr und kümmern sich.« Schöner Nebeneffekt: Es landet weniger Müll auf dem Boden, Vandalismus hat stark nachgelassen.
Zukünftig will Kosack auch Obstbäume pflanzen statt Linden oder Kastanien. Mandel, Apfel, Birne sind geplant, vorzugsweise regionale Sorten. Und die Kosten? Zwischen 20 und 30 Euro kostet die Stadtverwaltung die »essbare Bepflanzung« pro Quadratmeter im Schnitt – die früheren, klassischen Blumenteppiche sind dreimal so teuer.
Eine andere Idee hatte der Erfinder des »Vertical Farming«, Dickson Despommier von der Columbia University in New York. Statt Treibhäuser auf die Fläche zu bauen (die in Großstädten rar und teuer sein kann), will der Umweltwissenschaftler sie stapeln – als Gemüsewolkenkratzer. Die dollsten Pläne hat er dafür entworfen: gläserne Bauten in Lippenstift- oder Pyramidenform, in und aus denen es überall grün wuchert, grandios anzuschauen und vollgestopft mit allem möglichen Hightech. Auf 30 Stockwerken könnten nach seinen Berechnungen so viel Obst und Gemüse wachsen, dass 30000 Menschen davon satt werden. Der Ressourcenverbrauch sei wesentlich geringer als auf dem Feld, denn statt in Erde sollen die Pflanzen in Nährlösungen wachsen – genau wie heute die Tomaten in den modernen Treibhäusern.
»Die Welt des 21. Jahrhunderts ernähren«, lautet der ambitionierte Untertitel von Despommiers Buch über die »Vertikale Farm«, und obwohl Kritiker einige Bedenken gegenüber der Machbarkeit geäußert haben (hohe Baukosten, viel Pestizideinsatz nötig, energieintensiv usw.), liebäugeln auch deutsche Wissenschaftler mit dem revolutionären Projekt. Agrarökologen der Uni Hohenheim etwa haben im
Weitere Kostenlose Bücher