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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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Zusammensetzung der Klassen eine gute Schule aus, sondern die des Kollegiums, wie ein Experiment in Schweden überaus drastisch gezeigt hat: Eine neunte Klasse aus einem schwierigen Umfeld, die nach landesweiten Vergleichstests eine der schlechtesten Klassen Schwedens war, bekam acht neue Lehrer, »Superlehrer«, »deren Schüler regelmäßig weit überdurchschnittliche Leistung erbrachten«, wie Christoph Kucklick in GEO das Experiment beschrieb. Würde es diesen acht Lehrern gelingen, innerhalb von fünf Monaten diese 9a aus Malmö zu einer der drei besten Klassen des Landes zu machen? Und: Das Experiment gelang. »Die Schüler liegen sich in den Armen, sie heulen, sie tanzen. Fast alle dürfen nun die Oberstufe besuchen. ›Es ist wie eine Geburt‹, sagt eine der Lehrerinnen.«
    In einer schwierigen Gegend liegt auch die Jens-Nydahl-Grundschule in Berlin-Kreuzberg: nicht im bürgerlichen Bergmannkiez, sondern in der Nähe des Kottbusser Tores, einer sozial schwachen Gegend; der Anteil an Kindern aus Migrantenfamilien liegt bei über neunzig Prozent. Und die »paar deutschen Kinder sind russische Spätaussiedler«, wie eine Lehrerin sagt. An dieser Schule also, im harten Umfeld von Wohnmaschinen, vollgepferchten grausligen Bauten aus den 1970er-Jahren, führten die Kinder im Frühjahr 2012 eine Minioper auf. Kein Hänsel und Gretel und auch kein Aladin-aus-der-Wunderlampe -Verschnitt, sondern eine Uraufführung: zeitgenössische Musik der japanischen Komponistin Mayako Kubo. Sie hat das Traumspiel zusammen mit den Kindern erarbeitet, von denen die meisten noch nie ein Instrument in der Hand hatten und deren Eltern auch nicht mit ihnen in die Staatsoper unter den Linden gehen. Die Elfjährige, die den großen Gong schlägt, hat neun Geschwister. Sie und ihre Mitspieler erarbeiteten sich die sperrigen Tonfolgen hart, mussten viel und stetig üben. Es gab nur eine einzige Aufführung in der Schulaula, beim Konzert zeigten die Kinder eine Konzentration, die ihnen kaum jemand zugetraut hätte. Das Umfeld ihrer Schule ist gewiss kein Ponyhof, das Aufwachsen hier nicht einfach, aber es bietet Chancen und Möglichkeiten. Sie müssen nur gesehen und aufgegriffen werden. Eine ähnliche Erfolgsgeschichte erzählt der Dokumentarfilm Rythm is it , der zeigte, wie Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker mit Kindern und Jugendlichen aus 25 Nationen mit einem Tanzpädagogen zusammen Strawinskys Ballett Le sacre du printemps einstudierten. Auch diese Kinder kamen zumeist aus Problemschulen und waren mit klassischer Musik oder Tanz nicht vertraut. Allen Schwierigkeiten zum Trotz führte alles zu einem großartigen Ende.
    Lehrer können den familiären Hintergrund jedes Kindes ausgleichen, sofern sie den Rückhalt der Schule, der Schulbehörde, der Poltik bekommen. So lautete das Fazit aus Schweden, und so könnte auch ein Fazit der Jens-Nydahl-Grundschule heißen. Zu fragen wäre also nicht: Liegt die Schule in einem sozial schwierigen Kiez?, sondern: Wie bekommt man engagierte, ambitionierte Lehrer? Egal, ob in der Stadt oder auf dem Land, für Bauernkinder oder für Problemkiezkids.
    Das Gegenteil scheint aber leider der Fall zu sein. Zwischen Jugendlichen, die aus ländlichen Regionen stammen, und ihren städtischen Altersgenossen besteht ein starkes Bildungsgefälle, wie die Bundeszentrale für politische Bildung 2002 feststellen musste. In Bayern bedeutet für viele Gemeinden der Rückgang der Schülerzahlen eine Gefährdung ihres bisherigen Schulangebots. Und die Schülerzahlen gehen aus zwei Gründen zurück: Zur generellen demografischen Entwicklung kommt die Abwanderung von Familien aus ländlichen Regionen dazu. Wie der Spiegel in der Reportage »Tod auf Raten« 2011 feststellte, sind die Symptome überall auf dem flachen Land die gleichen: »Erst gibt es nicht genug Arbeit vor Ort, die Menschen pendeln. Auf dem Weg kaufen sie ihre Lebensmittel ein, die Geschäfte im Dorf schließen. Die Vereine lösen sich auf, der Zusammenhalt schwindet. Die Ersten wandern ab. Ein Trend ist gesetzt, das Ende vorbestimmt.«
    Das Forum Bildungspolitik in Bayern reichte beim Bayerischen Landtag eine Petition ein, in der es feststellte, die Zahl der 10- bis 16-Jährigen werde bis zum Jahr 2025 in Bayern um zwanzig Prozent, in einigen Landkreisen um mehr als dreißig Prozent zurückgehen. Weiterführende Schulen in den Städten werden immer größer, ist in der Petition zu lesen, die Zahl der Schulen in kleineren Gemeinden nehme

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