Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
hingegen immer mehr ab. »Die demografische Entwicklung und vermehrte Übertritte an Realschule und Gymnasium werden dazu führen, dass schon in absehbarer Zeit in kleineren und mittleren Gemeinden keine Schulabschlüsse mehr angeboten werden können.«
Das Gefälle im Bildungsniveau zwischen Stadt- und Landkindern hat aber noch einen weiteren Hintergrund: Der Vater mit Hauptschulabschluss schickt seine Tochter nicht aufs Gymnasium, so die Kurzfassung. Ausschlaggebend auf den Bildungsgrad der Kinder ist in Deutschland leider der Einfluss des Bildungsniveaus der Eltern. Vor allem der enge Zusammenhang zwischen dem niedrigen Bildungsstatus des Vaters und dem entsprechenden Bildungsniveau des Kindes wirkt, bezogen auf ländliche Regionen, als K.-o.-Faktor, denn auf dem Land ist ihr Anteil in der unteren Bildungsschicht deutlich überrepräsentiert. Die bayerische Petition bestätigt somit einen allgemeinen Befund der Bildungsforschung: »Je größer der Wohnort ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für den Besuch einer weiterführenden Schule bzw. des Gymnasiums. Dies gilt für Jungen und Mädchen gleichermaßen.«
Wenn Dörfer keine weiterführenden Schulen mehr bedienen können, werden die Schulwege für die Jugendlichen vom Land immer länger. Wer da nicht mitmachen mag, wer keine Lust hat auf täglich viele Kilometer im Bus oder in Mamas Auto, verzichtet womöglich deswegen auf einen höheren Abschluss. Somit wundert es nicht, dass mehr Stadtkinder als Schüler vom Land Abitur machen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft wiesen die städtisch geprägten Bundesländer Hamburg und Berlin 2006 prozentual die meisten Abiturienten aus. Hingegen verließen in ländlich geprägten Bundesländern wie Baden-Württemberg, Bayern, dem Saarland und Schleswig-Holstein viele die Schule mit einem Hauptschulabschluss.
2006 erforschten die Augsburger Soziologiestudentinnen Iris und Stefanie Weber für ihre Magisterarbeit Bildungsentscheidungen im Vergleich Stadt–Land. Dazu befragten sie mehr als tausend Schüler und deren Eltern im Regierungsbezirk Schwaben zur Schulwahl und fanden heraus, dass das Potenzial von Landkindern oft nicht genutzt wird; viele wechseln nicht auf das Gymnasium, obwohl sie dafür geeignet wären: »Obwohl etwa gleich viele Land- und Stadtkinder den notwendigen Notendurchschnitt erreichen, wechselt nur etwa ein Viertel der Landkinder aufs Gymnasium, im Gegensatz zu über 40 Prozent der Stadtkinder.«
Manche Eltern wollen ihren Kindern offensichtlich keinen anderen Lebensweg als den zugestehen, den sie schon vorausgegangen sind. Das Weggehen wird den jungen Leuten zusätzlich schwergemacht. Die Entscheidung, einen Hof eben nicht zu übernehmen, sondern einen Beruf in der Stadt ergreifen zu wollen, kann tiefe Gräben aufreißen. Wenn die Elterngeneration immer wieder herunterleiert, sie selbst habe doch ihr Leben lang nie Urlaub gemacht, sich geschunden und abgerackert, um das Erbe dem Nachwuchs zu übergeben. Es braucht Stärke, sich von diesen vorgeformten Lebensläufen frei zu machen und seinen eigenen Weg zu gehen.
Wer im ländlichen Gebiet bleiben will, dem bleibt in der Nähe häufig nur die Hauptschule. Dadurch vergrößert sich die Entfremdung der Landkinder untereinander weiter. Wer in der nächstgelegenen Stadt eine weiterführende Schule besucht, sucht sich dort seinen Freundeskreis neu aus. So wachsen die Kinder sowohl durch ihr Alter als auch über ihre neuen alltäglichen Sozialbezüge aus dem Dorf heraus. »In dieser Phase distanzieren sich viele Ober- und Realschüler bewusst von ihrem Herkunftsdorf, indem sie ihre räumlich ›zurückgebliebenen‹ ehemaligen Schulkameraden nun mit Oberschülerarroganz als ›primitive Bauerntölpel und verblödete Dorftrottel‹ titulieren«, analysierte der Kinderschutzbund.
Zugegeben, das motorisierte Pendeln ist ebenfalls in der Stadt zu beobachten. Die Tendenz der Eltern, Kinder überallhin mit dem Auto zu bringen, nimmt auch hier zu. Während es in den 1970ern noch möglich war, eine halbe Stunde zu Fuß in den Kindergarten zu gehen, nur mit anderen Kindern zusammen, und ebenso lange mit dem Rad in die Grundschule zu fahren, müssen Eltern sich für so etwas heute schief ansehen lassen. Wie Buchautor Andreas Weber eben schreibt: »… als lauerten Heckenschützen hinter jedem Müllcontainer.«
Doch in der Stadt gibt es, anders als auf dem Land, wenigstens Alternativen: Um Kinder an den Straßenverkehr zu gewöhnen
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