Stadtmutanten (German Edition)
gehörig gepudert hatten, gingen wir zurück ins Inferno. Lila plapperte mehr denn je und hatte sich wieder eingehakt, doch dieses Mal störte mich das wenig. Ich fühlte mich gut und war der felsenfesten Überzeugung, alles fest im Griff zu haben. Die nächste Stunde verbrachten wir hauptsächlich in der Dark Zone, tanzten und machten schließlich noch einen kleinen Abstecher in die Hölle. Ben und ich soffen wie die Löcher und waren trotzdem fit wie die Turnschuhe. Als sich schließlich erste Anzeichen der Erschöpfung zeigten, gingen wir zurück zu Sissis Wagen, um etwas nachzulegen. Das war gegen 1:20 Uhr in der Nacht. Nur wenige Minuten trennten uns von der Begegnung, die niemand von uns jemals vergessen sollte.
Ist die Unschuld einmal verloren, wird alles schnell zur Normalität. Sissi und Ben zogen sich eine Nase und machten ohne weitere Verzögerung wild auf dem Rücksitz herum. Während ich mich auf dem Beifahrersitz bemühte, beim Formen der weißen Linien auf dem Spiegel möglichst professionell zu wirken, berichtete mir Lila beschämt, dass ihre Drogenkarriere erst vor drei Wochen begonnen hatte. Ich verschwieg ihr, dass mein erster Kontakt mit dem Zeug gerade mal eine Stunde her war. Sollte sie ihre Illusion genießen. Ich würde für sie den erfahrenen Szeneveteranen spielen, der sich mit allen Arten von Drogen auskennt und die Mädchen reihenweise flachlegt. Im geeigneten Moment würde ich mich dann verabschieden und wir beide würden jeweils mit unserer ganz eigenen Illusion nach Hause gehen: Ich mit der Illusion, ein geiler Typ zu sein, sie mit der Illusion, heute beinahe einen solchen abgeschleppt zu haben. Als ich gerade einen Geldschein rollte, um die Ladung Power in mich hineinzuziehen, hielt genau neben uns ein Wagen. Schnell zog ich mir die Nase voll und legte den Spiegel auf den Schoß. Eine Gestalt stieg aus dem geparkten Auto und klopfte an mein Fenster. Ich kurbelte die Scheibe herunter und sah einen Mann wie ein Baum und mit einem Adlerblick, dem ich ohne Drogen vielleicht nicht standgehalten hätte. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Der Mann schaute auf meinen Schoß und schüttelte spöttisch den Kopf. Er sprach mich an. In seiner Stimme schwang ein leichter russischer Akzent mit.
»Das da ist Scheiße.«
Ich starrte ihn an, einen moralischen Vortrag über Drogen befürchtend. »Scheiße?«
»Ja, Scheiße. Das sehe ich von hier. Scheiße.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Fühlte mich ertappt. Er lachte und lockerte seinen Adlerblick.
»Hier ist meine Visitenkarte. Wenn du vernünftiges Zeug haben willst, besuch mich mal. Ich heiße Egor.«
Ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber das Geräusch von quietschenden Reifen ließ mich stocken. Ich schaute mich um und sah ein Großraumtaxi heranbrausen. Es fuhr viel zu schnell, begann urplötzlich zu schlingern und raste in eine Reihe parkender Autos am Rande des Geländes. Staunend stieg ich aus und holte eine Schachtel Zigaretten heraus. Egor stupste mich an und ich gab ihm eine, ohne den Blick von dem Durcheinander zu nehmen, das gute 50 Meter von uns entstanden war. Fasziniert standen wir Seite an Seite und rauchten.
Inzwischen hatten auch Ben und Sissi gemerkt, dass etwas Außergewöhnliches geschehen war. Ben stieg aus und stellte sich neben mich. Während Lila und Sissi noch im Auto blieben und tuschelten, ging die Beifahrertür von Egors Audi auf. Eine jüngere Ausgabe von Egor stieg aus und gesellte sich in unsere Männerriege. Ohne die Augen von dem Unfallort zu nehmen, zeigte Egor auf den Neuankömmling.
»Dimitri. Bruder.«
Ich nickte. Die Ähnlichkeit war offensichtlich. Egor war größer und drahtiger, aber dass sie die gleiche Mutter hatten, war nicht zu leugnen. Ich zeigte auf Ben.
»Ben. Freund. Mein Name ist Marek.«
Am Ende stiegen schließlich auch Sissi und Lila aus, blieben jedoch auf der anderen Seite des Wagens und tuschelten weiter. Ihre Seitenblicke verrieten, dass sie etwas angefressen waren.
Das Großraumtaxi hatte drei andere Wagen gerammt, die ihrerseits in weitere Fahrzeuge geschleudert wurden. Der Blechschaden war beeindruckend. Schon jetzt stürmten die Besitzer einiger zerstörter Autos zur Unfallstelle. Stinksauer, keine Frage.
Dann begannen die Geräusche. Die Insassen hatten sich offenbar von dem Crash erholt und kamen zu sich. Man hörte Menschen schreien und brüllen. Ein lautes Poltern ließ einige der Autobesitzer instinktiv anhalten und zurückweichen. Zwei
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