Stadtmutanten (German Edition)
geschickten Judogriff am Boden. Der Polizist befreite eine seiner Hände gerade kurz genug, um per Funk Verstärkung anzufordern. Das machte auch Sinn, denn die Beamten waren schließlich beide damit beschäftigt, die Angreifer in Schach zu halten, so dass sie nun die eigentliche Polizeiarbeit nicht mehr verrichten konnten. Das sahen auch die Muskelmänner und gaben Fersengeld.
Die ganze Show verfolgten am Ende sicher 30 bis 40 Schaulustige, uns inklusive. Niemand bemerkte, wie sich während des Kampfes ein weiterer Fahrgast aus der offenen Taxitür fallen ließ. Er kroch langsam auf das Inferno zu. Inzwischen war die Verstärkung der Polizei eingetroffen und nahm die gefesselten Beißer mit. Wenig später erhielten die verbleibenden Polizisten einen Funkspruch und rannten vom Parkplatz herunter und die Straße entlang, wahrscheinlich um die flüchtigen Muskelmänner zu stellen, wie Ben vermutete.
Als der verletzte Fahrgast bei uns ankam, erwachten wir aus unserer Starre. Dimitri reagierte am schnellsten. Er rannte auf den kriechenden Mann zu.
»Ist alles OK, Mann?«
Die Frage erübrigte sich eigentlich, weil hier ganz offensichtlich gar nichts »OK« war. Der Mann antwortete mit einem unverständlichen Stöhnen. Als Dimitri sich hinunterbeugte, um ihn besser zu verstehen, griff der Mann urplötzlich nach Dimitris Standbein und riss ihn von den Füßen. Dabei rutschte Dimitris Hemd hoch und entblößte seine nackte Haut. Der Mann stürzte sich augenblicklich darauf und biss herzhaft in Dimitris Seite. Dimitri schrie auf und versuchte aufzustehen, aber der Mann hielt ihn mit aller Kraft am Boden. Nun war Egor zur Stelle. Er trat dem Beißer an den Kopf und befreite seinen Bruder. Als der Angreifer erneut sein Glück versuchen wollte, traten beide Brüder auf ihn ein. Immer und immer wieder traten sie ihm in den Bauch, den Rücken, gegen den Kopf und natürlich ins Gemächt. Schließlich blieb er nach einem letzten Kopftritt regungslos liegen. Der Mann war tot.
Entsetzt schaute ich mich um. Die meisten Schaulustigen waren noch ganz benommen von der vorherigen Show, aber einige hatten sich inzwischen uns zugewandt. Egor war dies nicht entgangen. Er zog uns zu seinem Audi.
»Los weg hier, ich fahre! Ihr kommt mit!«
»Aber...«, meldete sich Lila zu Wort.
»Kein Aber! Ihr seid mit uns gesehen worden, also werden die Bullen euch Fragen über mich stellen. Das kann ich mir nicht leisten.«
Lila stemmte die Hände in die Seiten.
»Und wenn wir nicht mitkommen?«
Egor grinste gefährlich.
»Dann gnade dir Gott, Mädchen.«
Es klang wie ein Scherz, aber ich wollte verdammt sein, wenn nicht ein Funken Wahrheit darin lag. Wir hatten die beiden Brüder kämpfen sehen und es hatte nicht gewirkt, als hätten sie das zum ersten Mal gemacht. Also stiegen wir ein.
Egor fuhr auf dem Parkplatz trotz allen Adrenalins ruhig und ohne Hast. Auch auf der Straße vermied er jegliche Auffälligkeiten. Er brachte die Mädchen zur Haltestelle Emder Straße. Uns brachte er ein Stückchen weiter bis zur Langen Reihe, nahe der kleinen Sackgasse, in der ich wohnte. Als wir ausgestiegen waren, winkte Egor mich noch einmal an sein Fenster.
»Ihr seid mir sympathisch, besonders du. Deswegen möchte ich vermeiden, dass ich euch wehtun muss. Also kein Wort zu den Bullen. Wir waren nicht da. Alles klar?«
»Und die Mädels?«
»Eure Huren interessieren mich nicht. Die haben so große Angst vor den Bullen, dass sie gar nichts sagen werden. Aber nicht du. Du bist ein Normalo, das rieche ich von weitem. Menschen wie dich trifft man selten in meinem Geschäft.«
»Was ist mit deinem Auto? Dem Kennzeichen?«
»Haben sich hoffentlich viele aufgeschrieben. Gehört einem reichen Wichser aus Schwachhausen, der das Koks für seine Beförderungsparty nicht bezahlen wollte.«
»Na dann.«
»Na dann!«
Ben und ich schlichen uns schließlich todmüde in meine Wohnung. Katie und Kai schliefen aneinandergekuschelt im Schlafzimmer, das wir tagsüber als unser Wohnzimmer nutzten. Also legten wir uns ins Arbeitszimmer. Und immer noch hatte es den Anschein, als wären wir heil aus der Sache herausgekommen.
2 KEIN TAG FÜR DIE LEBENDEN
Nach dem Aufwachen war ich froh, dass der Abend doch noch ein recht frühes Ende genommen hatte. Ein paar Stunden Schlaf mehr können dem Tag nach einem Besäufnis eine ganz andere Richtung geben. Statt also bis zum Nachmittag in der Koje zu bleiben, war ich schon relativ früh auf den Beinen
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