Stahlhexen
schlug mit der Faust gegen die Stuhllehne. »Sie gehen nirgendwo hin, bis Sie mir zugehört haben. Danachkönnen Sie hier rausgehen, wohin immer Sie wollen. Kapiert?« Er strich sich mit den Fingern über den Kopf, die Augen geschlossen, als lauschte er auf etwas in seinem Inneren. Dann schlug er die Augen auf und begann.
»Also, ich nenne meine Theorie die Stahlhexen-Theorie. Sie beginnt im Jahr 1942, als die Amerikaner die ersten Luftwaffenstützpunkte in England anlegen, um von hier aus Angriffe auf Deutschland zu fliegen. Das Hauptproblem bei Luftschlägen gegen Deutschland ist die geringe Reichweite der Kampfjäger - der Eskorte, verstehen Sie? Die >Mustangs< schaffen nur die halbe Strecke bis Deutschland und müssen dann umkehren, weil der Treibstoff nicht bis zum Ziel reicht. Die Bomber werden von den deutschen Kampfjägern abgefangen, das ist ein großes Problem. Dann aber kommt jemand auf die Idee, externe Zusatztanks unter den Flügeln der Kampfjäger anzubringen.«
»Tropfentanks«, warf Fletcher ein. »Wenn der Treibstoff darin verbraucht ist, werden sie abgeworfen.«
»Genau. Eine einfache, aber dennoch revolutionäre Innovation: Die Reichweite des Kampfjägers verdoppelt sich. Ein kleiner Kampfjäger-Verband wird mit einem Prototyp der Tropfentanks ausgerüstet und auf einem einsamen Luftwaffenstützpunkt in Norfolk stationiert. Er hat die Aufgabe, die Treibstofftanks zu testen: Funktionieren sie, wie weit beeinträchtigen sie die Stabilität des Flugzeugs und so weiter. Die Aufgabe ist bald erfüllt und die Tropfentanks werden standardmäßig eingesetzt. So weit alles klar?«
»Und wieso dann das ganze Theater ? Wegen so was bringt Aspen Slade Menschen um?«
»Also, das ist ja gerade das Problem. Wegen der abgeschiedenen Lage des Luftwaffenstützpunktes und der Geheimhaltung sind in den Jahren danach Gerüchte aufgekommen. Das sind falsche Gerüchte, die jeder realen Grundlage entbehren.«
»Was für Gerüchte denn?«
»Das wissen Sie verdammt noch mal selbst.« Lindquist sprach mit erhobener Stimme und zuckte zusammen. Leiser fügte er hinzu: »Sie wissen das doch selbst ganz genau. Zum einen wurde das Stützpunktgelände vom Felwell College zur Verfügung gestellt. Erstaunlich ist das eigentlich nicht, denn diese Colleges verfügen über riesigen Landbesitz, nicht wahr? Irgendwo habe ich gelesen, man könne von der Ostküste zur Westküste Englands marschieren, ohne jemals den Grundbesitz des King's College zu verlassen - stimmt das?«
»Ich hab gehört, es wäre von Norden nach Süden.«
»Vielleicht ja diagonal«, bemerkte Mia.
»Wie dem auch sei.« Lindquist winkte ab. »Nun befand sich dieses Gelände also zufällig im Besitz des Felwell College, und Felwell war ja auch in die Atomspaltung involviert. So verbreitete sich bald das Gerücht von irgendeinem Plan. Außerdem hat das College niemals erklärt, was eigentlich mit seinen Hadesium-Beständen passiert ist, und so wird getuschelt, es gäbe da irgendwelche Verbindungen.« Lindquist lachte. »Und dann, das muss ich ehrlich zugeben, ging auf dem Stützpunkt auch noch so einiges drunter und drüber. Der Kommandant war so ein reiches Jüngelchen aus Neuengland, damals wimmelte es in der Air Force nur so von denen. Er ließ die Disziplin schleifen und fing sogar was mit einer Einheimischen an. Wie sagt man noch? Irgendwas mit frater?«
»Er hat mit den Einheimischen fraternisiert?«
»Genau, fraternisiert. Wie der Glatzkopf in Apocalypse Now. Dieser Kerl hier malte Nose-Art-Bilder von einheimischen Hexen oder so was auf seine Flugzeuge. Ein richtiger Saustall war das. Auch deswegen breiteten sich nach dem Krieg Gerüchte aus. Die Leute behaupteten, >Stahlhexen< sei der geheime Codename für irgendeine besondere Waffe. Na klar doch. Solche geheimen Codewörter malt man natürlich immer für alle sichtbar mitten auf seine verdammten
Flugzeuge. Dann gibt es noch ein Gerücht über die Start- und Landebahnen, warum die wohl betoniert sind. Ob man vielleicht eine >Fliegende Festung< erwartete oder weiß der Kuckuck was noch alles. Und so verbreitete sich das Gerücht, dass dort irgendeine richtig große Sache geplant gewesen sei.«
»Wollen Sie mir noch irgendwas über den Luftwaffenstützpunkt selbst erzählen? Warum ist der eigentlich auf keiner Karte verzeichnet?«
Lindquist zuckte die Schultern. »Das ist nichts Ungewöhnliches. Ich könnte Ihnen sofort ein halbes Dutzend US-Einrichtungen in diesem Land aufzählen, die in Betrieb
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