Stahlhexen
zwischen diesen Bäumen musste ihr Verfolger jetzt stehen: ein hochgewachsener Mann mit Regenmantel und Kapuze. Fletcher spürte, dass Mia ihm die Hand auf den Arm legte und mit der anderen Hand auf etwas zeigte.
»Da.«
Sie hatte recht. Unter dem dritten Baum stand jemand und beobachtete sie. Seine Kapuze schimmerte im orangeroten Licht der Straßenlaterne.
»Ist das der Polizist, der dich beschattet?«, fragte Mia.
Aber irgendetwas an dem Mann kam Fletcher komisch vor. Hielt er etwas in der Hand? Etwas, das im Licht funkelte?«
»Ich glaube...« Er versuchte, die Gestalt im Regen zu erkennen. »Ich glaube, es könnte Aspen Slade sein. Gehen wir ins Licht und befassen wir uns dort mit ihm.« .
Sie gingen rasch den Hang hinauf und kamen zu einer einsamen Gasse, die am Fitzwilliam Museum vorbeiführte.
Links und rechts waren nasse Steinmauern, über denen Straßenlampen leuchteten. Fletcher blieb stehen und blickte sich um. Unten, am Ende der schmalen Gasse, sah man Coe Fen in einen malvenfarbenen Schimmer getaucht einsam und verlassen daliegen. Der Mann war verschwunden. Fletcher drehte sich wieder um. Mia war ebenfalls verschwunden. Dort, wo sie eben noch gestanden hatte, trieb nur noch ein von einem Dach abgerissener Moosfetzen über den Bürgersteig.
Fletcher öffnete seinen Parka. Er konnte noch spüren, wo sich der Stahlhaken in seinen Hals gegraben hatte, und der Regen floss über die Stiche, mit denen seine Kopfwunde genäht war. Er lauschte. Die Rinnsteine klangen wie Tiere, die Wasser saufen. Der Regen trommelte stetig. Sonst war es in der kleinen Gasse vollkommen still. Und sie lag absolut menschenleer da. Es gab keine Abzweigung. Oder doch ...
An einer Stelle bildeten die Rückseiten zweier Collegegebäude eine schmale Gasse. Fletcher ging hin und schaute hinein. Dort war es feucht und grau, die Fenster waren schmierig und Abluftrohre zogen sich die Wände entlang. Eine Reihe von Türen führte ins Kellergeschoss, und es gab eine schadhafte Lampe, die immer wieder aufflackerte und erlosch. Auf halber Höhe spross ein kleines Bäumchen aus einem Spalt in der Backsteinmauer und schlängelte sich dem Himmel entgegen, vorbei an einem Regenrohr, aus dem ein Teil herausgebrochen war, so dass es jetzt ganze Wasser- schwälle ausspie. Der Mann mit dem Regenmantel und der Kapuze, der sich ständig nach rechts und links umsah, kam nun geradewegs darunter vorbei. Seine Hände hingen lose herunter, und im flackernden Licht der kaputten Lampe sah man, wie seine bleichen Finger sich krümmten. Allerdings hielt er nichts in der Hand. Er überprüfte die Türen zum Kellergeschoss und drehte dabei den Kopf hin und her.
»Aspen«, rief Fletcher ihn an.
Der Mann fuhr herum. Plötzlich entdeckte Fletcher den
Umriss von Mias Regenmantel: Sie trat hinter dem Mann aus einer Tür, mit erhobenen Händen, in denen sie etwas hielt, das wie ein Stück abgebrochenes Regenrohr aussah. Fletcher hatte sie kaum richtig erkannt, da stand sie auch schon hinter dem Mann, von der flackernden Lampe in Licht und Schatten getaucht, und ließ das Regenrohr auf seinen Kopf krachen.
Der Schlag erwischte ihn seitlich: Nicht mit voller Wucht, doch es reichte, um ihn zu Boden zu werfen. Er ging in die Knie und kippte dann um. Bei Bewusstsein war er aber immer noch. Schützend hielt er sich die Hände über den Kopf und rollte sich mit angezogenen Knien zur Seite. Fletcher sah, dass Mia das Regenrohr erneut fest packte und hinter den Liegenden trat, auf Abstand zu seinen Beinen bedacht. Der Mann spähte zwischen den vorgehaltenen Armen hindurch, um den Angreifer zu sehen, und Fletcher erhaschte einen Blick auf das unter der Kapuze verborgene Gesicht. Viel hatte er nicht erkannt, doch es reichte. Als er sah, dass Mia das Regenrohr erneut zum Schlag hob, rannte er los. Der zu Boden Gegangene kam auf wackligen Knien langsam hoch. Mia schlug ihn ein zweites Mal. Der krachende Hieb traf den Mann am Schulterblatt, hallte laut durch die Gasse und warf ihn bäuchlings wieder zu Boden. Fletcher schrie ihr zu, sie solle aufhören. Inzwischen erkannte er auch die kräftige Figur unter dem Regenmantel und wusste jetzt mit Gewissheit, wer dieser Mann war.
Mia hörte nicht auf. Sie stellte dem Mann den Fuß in den Nacken, dort, wo die Kapuze ansetzte, und holte mit dem Regenrohr aus. Das flackernde Lampenlicht brach sich zu beiden Seiten in den regennassen Wänden und spielte mit den Schatten des verkrüppelten Bäumchens. Fletcher warf sich auf Mia
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