Stahlhexen
der Zug von einem Einsatzwagen der Wasserbehörde: Pumpen, Einsatzausrüstung und elektrische Generatoren waren auf der Ladefläche festgezurrt, und das Licht einer orangegelben Warnleuchte auf dem Führerhäuschen zuckte über den Schnee. Fletcher überholte die Kolonne zügig und fädelte sich gerade noch rechtzeitig wieder ein, als die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens ihn aus wenigen Metern Entfernung anblitzten.
Er fuhr nach Cambridge zurück. Genauer gesagt, zur Stadtbibliothek. Schreckliche Ängste stiegen in ihm auf. Da hat man also sein halbes Leben auf einen Anruf des eigenen Vaters gewartet - und dann wird man zu einem Steinbruch geschickt und findet einen auf einem Stahlträger aufgespießten Ami vor. Und da hat man sich ewig danach gesehnt, die eigene Mutter wiederzusehen - und dann findet man nur das Felwell-Laboratorium und ein Buch über die US Air Force.
Am dritten Tag brachten sie die Hexen um. Sie ermordeten die alte Gussy Salter, weil eine Fliege sie im Zelt besucht hatte. Und meine Vorfahrin Bessie Weller wegen allem, was der Hexenjäger auf ihrer Haut gesehen hatte,als sie das Kleid fallen ließ. Sie führten beide auf die Weide hinter dem Zelt.
Gussy Salter kam zuerst an die Reihe.
Sie sollte gehängt werden. Die Männer machten einen alten Weißdorn zum Galgen: ein halb toter Stamm mit einem stacheligen Ast, den sie mit einem Balken abstützten. Ein ausgewachsener Mann wäre zu schwer gewesen, aber für eine alte Frau wie Gussy reichte es allemal.
Die alte Gussy bekam nicht viel mit. Nachts hatten sie ihr Bier mit Mohnsamen zu trinken gegeben, und so war sie zwar bleich, aber gefasst und begriff gar nicht recht, wo sie war. Sie halfen ihr auf ein Fass, während der Hexenjäger vom Pferd herunter seine Ansprache verlas. Er erklärte, Beweis sei das Insekt, das zu ihr gekommen sei, ihr Hexentier. Vermutlich heiße es Tinnyticket oder Bedderlugs, was gebräuchliche Namen für Hexentiere seien. Er spuckte ein paar Samen aus. Gussy öffnete die Augen einen Spalt. Doch als sie ihr das Fass unter den Füßen wegtraten, war sie so leicht und dünn, dass der Strick ihr den Hals nicht brach. Daher erstickte sie, was eine Weile dauerte. Ihr Röcheln war weit über die Wiesen zu hören. Die Hasen hätten einen Schreck bekommen, hat Graimy gesagt. Gussy trat mit den Beinen um sich und versuchte mit den gefesselten Händen, den Knoten des Stricks zu öffnen. Schließlich waren ihre Augäpfel blutunterlaufen, hat Granny uns erzählt, die Zunge hing ihr zum Hals heraus und das Röcheln wurde leiser.
Der Hexenjäger drehte sich im Sattel um, spie ein paar Samen aus und nickte seinen Männern zu.
Das rötlichbraune Licht des Spätnachmittags lag schimmernd auf dem gefrorenen Schneematsch der Bürgersteige und spiegelte sich in den Eiszapfen, die von der Umzäunung des College herabhingen. Fletcher bog in den Lion Yard ab, wo ihm das dampfig feuchte Fell des Hundes eines Obdach-losen ins Auge fiel und die frostig weißen Spinnweben an einem Kübel voll toter Blumen. Frühling in Cambridge.
Die Stadtbibliothek war nur spärlich beheizt und die Fenster waren beschlagen. In der Abteilung »Geschichte der Neuzeit« lag der Gang mit den Büchern zur Militärgeschichte still und menschenleer da.
Nathan Slade, Amerikaner und ehemaliger Air-Force- Offizier. Das war eine Tatsache.
Daisys Verfolger — wer auch immer es sein mochte - war anscheinend ebenfalls Amerikaner, wenn man Wayne Denny Glauben schenken konnte. Und Wayne war sich sicher, dass Daisy sich in dieser Bibliothek ein Buch über amerikanische Weltkriegsflugzeuge ausgeliehen hatte. Wonach hatte sie gesucht? Etwas Populärwissenschaftliches, das auf genug allgemeines Interesse stieß, um es in die Stadtbibliothek zu stellen.
Aber welches Buch genau?
Nach kurzer Suche stieß Fletcher auf ein Dutzend Bücher über die Amerikaner in East Anglia während des Zweiten Weltkriegs. Er legte den Stapel auf einen Tisch und blätterte die Bücher durch.
Schnelle Antworten fand er nicht. Stattdessen aber eine andere Welt.
Er konzentrierte sich auf die drei Jahre von 1942 bis 1945, als bis zu zwei Millionen Amerikaner in Großbritannien stationiert waren. Sie nutzten die weiten Ebenen Ostenglands wie einen riesigen Flugzeugträger für tagsüber geflogene Bombenangriffe auf Deutschland, während die Briten gegen dieselben Ziele nachts vorgingen. In einem Buch fand er eine Landkarte, auf der die nun schon lange verlassenen Militärflugplätze
Weitere Kostenlose Bücher