Stahlhexen
ihre Katze gerufen hat. Er hatte einen amerikanischen Akzent.«
»Wayne, wovon redest du eigentlich?«
Jetzt trommelte der Regen aufs Wohnwagendach. Wayne fuhr mit dem Finger auf der Fensterscheibe die Regenrinnsale nach.»Daisy hatte eine Katze, also keinen Kater, eine getigerte Katze. Letzte Woche hat er die vor ihrer Tür abgefangen. Er rief und lockte so lange, bis sie ihm um die Beine strich. Ich hab es von der Straßenseite gegenüber beobachtet. Dann hat er sie aufs Feld geschleppt und zerstückelt. Er hat dieses Stahldings, es ist wie ein Brecheisen, aber am einen Ende scharf. Damit kann man in was reinstechen und es zerschneiden. Er kniete auf der Katze und säbelte sie auseinander. Deswegen hab ich mir das Messer gekauft, um mich zu schützen, mich und Daisy.«
Wayne holte eine Dose Bier und eine Tablettenpackung aus dem Schränkchen unter der Spüle. Er drückte drei Pillen heraus und spülte sie mit dem Bier herunter. Sein Lippenpiercing klackte gegen die Bierdose. Dann setzte er sich aufs Bett und lehnte sich in das einzige Kissen.
»Warum sollte jemand eine Katze zerstückeln?«, fragte Fletcher.
»Um Daisy Angst zu machen.«
»Das macht ihr nur Angst, wenn sie davon erfährt. Sonst denkt sie einfach, ihre Katze ist verschwunden.«
Wayne zuckte die Schultern und rutschte tiefer nach unten.
»Wie sieht er aus?«, fragte Fletcher.
»Er ist bleich und hat dunkle Augen. Und einen schmalen Bart.«
Es war der Mann vom Überwachungsfoto des Felwell College - die Beschreibung klang zumindest danach. Jemand hatte Daisy verfolgt und versucht, ihr Angst einzujagen. Vielleicht, damit sie über irgendetwas den Mund hielt?«
»Er hat also einen amerikanischen Akzent? Und was weißt du noch über ihn? Seinen Namen?«
»Ich hab ihn nur das eine Mal gesehen. Seinen Namen kenn ich nicht. Aber er kaut andauernd.«
»Er kaut?«
»Schmatzt rum wie eine Kuh, hat ständig Kaugummi im
Mund.« Waynes Augen folgten einem Regentropfen, der die Scheibe hinunterfloss. »Hoffentlich hat er sich Daisy nicht geschnappt. Meinen Sie, sie ist jetzt in seiner Gewalt?«
Fletcher schloss den Wohnwagen von außen ab und schaute sich nach den anderen Stahlcontainern auf Rädern um, die zu beiden Seiten lange Reihen bildeten. Es war Nachmittag, aber schneidend kalt, und ein Eisregen schlug Löcher in den Schnee auf den Wegen. Fletcher warf den Schlüssel durch den Fensterschlitz und hörte, wie er drinnen zu Boden fiel. Wayne war schon eingeschlafen.
Fletcher war sich nicht ganz schlüssig, was er von Wayne halten sollte. Es wäre leicht, ihn einfach als einen einsamen Einzelgänger abzutun, der sich mit Tabletten durchs Leben hangelte und seinen Lebenssinn darin sah, dass eine Frau ihn am 20. Oktober angelächelt hatte. Andererseits konnte der junge Mann sich durchaus flüssig ausdrücken, und er wirkte aufmerksam, gewissermaßen wachsam. Hatte er wirklich gesehen, wie ein junger, bärtiger Amerikaner Daisys Katze zerstückelte?
Dann hatte Daisy also nicht nur einen amerikanischen Nachbarn, sondern auch einen amerikanischen Verfolger.
Wie viele Amerikaner gab es eigentlich in Newnham?
Fletcher machte seinen Parka zu und lauschte einen Augenblick auf den Regen, der auf den Wohnwagendächern all den einsamen Schläfern an der Peterborough Road ein Schlaflied trommelte. Dann lief er zu seinem Auto zurück.
Fletcher fuhr schnell, die stumpfe Schnauze seines Audi bahnte sich einen Weg durch den Eisregen und schleuderte ihn gegen die Windschutzscheibe. Der Radioempfang war verrauscht, aber Fletcher bekam trotzdem mit, dass für die Nacht wieder Temperaturen unter null Grad vorhergesagt wurden. Danach würde dann Tauwetter einsetzen, da waren sich die Meteorologen einig, und damit standen die eigent-liehen Probleme erst an. Das Schmelzwasser aus den Nachbarbezirken würde nach Cambridge abfließen und sich zusammen mit dem noch erwarteten Regen durch Kanäle und Bäche in die ohnehin schon randvollen Flüsse ergießen. In Nachrichten und Extrasendungen war die Überschwemmungsgefahr Thema Nummer eins. Manche Fachleute gaben den Bewohnern der tiefer liegenden Gebiete den Rat, ihre Häuser zu verlassen. Jemand anderes wies jedoch darauf hin, dass im Bezirk Cambridge siebzig Prozent der Bevölkerung in den tiefer gelegenen Flusstälern lebten.
Fletcher musste abbremsen: Vor ihm fuhr eine Kolonne von Armeelastern, mit Sandsäcken beladen und immer einen gelangweilt dreinblickenden Soldaten hinten im Laderaum. Angeführt wurde
Weitere Kostenlose Bücher