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Stahlhexen

Stahlhexen

Titel: Stahlhexen Kostenlos Bücher Online Lesen
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angenehme Distanz entstand. Er hatte ein längerfristig gültiges Rezept, das ihm die Gesundheitspflegerin im Oktober bei seiner Entlassung aus dem betreuten Wohnheim mitgegeben hatte. Er wurde noch immer be- treut: Die Miete für seinen Wohnwagen zahlte das Amt. »Probleme«, sagte Wayne, »machen die Leute vom Amt eigentlich immer.« Damals, in jener ersten Oktoberwoche, lag er einfach auf dem Bett und sah den Wolken durchs Fenster nach. Eines Morgens aber räumte er den Wohnwagen auf, zog sich frische Kleider an und beschloss, etwas zu unternehmen. »Zurzeit wache ich immer so gegen halb sieben oder sieben Uhr morgens auf. Der Bus nach Cambridge fährt um 8.12 Uhr. Um 17.25 Uhr geht der letzte Bus zurück. Damit hab ich täglich acht Stunden, die ich in Cambridge verbringen kann.«
    »Und was machst du da?«
    »Meistens geh ich in die Bibliothek. Ich les viel, beschäftige mich mit so Themen.«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel Geschichte, Keramik...«
    »Erzähl mir was über Daisy.«
    »Was denn?«
    »Woher du überhaupt etwas über sie weißt.«
    »Okay.« Wayne spießte mit seiner Holzgabel ein Stück Aal auf und kaute gründlich. »Es war in der Bibliothek. Im Oktober war ich da und hab alles Mögliche gelesen. Da seh ich dieses Mädchen, wie es mit einem Buch in der Hand an mir vorbeigeht. Sie hatte so dunkles Haar, und dann dieses Gesicht. Ich kann's nicht richtig erklären, Mann. Dieses Gesicht eben.«
    Wayne stockte.
    »Und weiter, Wayne?«
    »Ich bin ihr zur Theke gefolgt. Sie hat das Buch ausgeliehen.«
    »Bist du dir da sicher? Eine Physikstudentin am Felwell, und die leiht sich Bücher in der Stadtbibliothek aus?«
    »Es war nicht die Art von Buch, die man in einer College- Bibliothek findet.«
    Wayne schwieg wieder.»Du machst es ganz schön spannend, Wayne. Nicht schlecht für einen Mann, der täglich fünf Clozapin schluckt.«
    Wayne lächelte.
    »Was war es für ein Buch?«
    »Ein Buch über Flugzeuge, Mann.«
    »Was für Flugzeuge?«
    »Amerikanische Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg.«
    Fletcher legte die Gabel aus der Hand. Der Aal in seinem Mund fühlte sich kalt und fettig an. Er schluckte.
    »Es war ein Buch über die US Air Force?«
    »Na ja, im Krieg wurden ja wohl amerikanische Flugzeuge eingesetzt, oder?«
    »Wie lautete der Titel?«
    »Den hab ich nicht gesehen. Weil ich auf die Bibliothekskarte geguckt hab, die auf der Theke lag. Um herauszukriegen, wie sie heißt. Daisy Seager. Das hat mich einfach umgehauen. Daisy - Mann, hat das nicht richtig was von einer Blume? Dann ist sie gegangen.«
    »Und du bist ihr gefolgt?«
    »Ja, ich hab mich aber nicht aufgedrängt.«
    »Zum Felwell College?«
    Er nickte. »Danach hab ich immer mal wieder einen Spaziergang dorthin gemacht, um mir die Zeit zu vertreiben. Hab nach den Mädels geguckt, wie sie reingingen und rauskamen. Einmal hab ich sie gesehen.«
    »Und?«
    Wayne blickte zur Decke. »Sie hat mich angelächelt.«
    »Du hast sie kennengelernt? Dich mit ihr angefreundet?«
    »Ich bin doch der Letzte, mit dem so ein Mädchen sich anfreundet, oder? Aber sie hat mich angelächelt. Das war am 20. Oktober.«
    Fletcher fragte nicht nach der Uhrzeit, aber Wayne hätte sich wahrscheinlich auch daran erinnert. »Weiß du sonst noch was, Wayne?«
    »Das war's.«»Unten beim Fluss hast du noch beteuert, dass du keinem etwas weitersagst.«
    »Von der ganzen Sache eben, das, was ich Ihnen erzählt hab. Sie wird doch vermisst, oder? Das hab ich im Radio gehört.«
    »Weißt du, wo sie ist?«
    »Nein.«
    »Da ist noch die Sache, dass Daisy ungewöhnliche Interessen hat, Wayne.«
    »Das mit ihrem Hostessen-Job, wie sie in den Nachrichten gesagt haben? Darüber weiß ich nichts.«
    »Hast du schon mal von der Bellman Foundation gehört?«
    »Davon hab ich keine Ahnung.«
    »Oder Matthew Hopkins, dem Groß-Hexenjäger?«
    »Nie gehört.«
    »Und warum hattest du dann das Messer, Wayne ? Du hast mich für jemand anderen gehalten. Vor wem hast du Angst?«
    »Jemand ist ihr gefolgt, hat ihr aufgelauert.«
    »Du bist ihr gefolgt.«
    »Nein. Ich bin ihr einmal gefolgt. Sie hat mich einmal angelächelt. Ich interessiere mich für sie. Ich bin wie so eine Art Beschützer. Aber dieser andere Kerl, vor dem hatte sie Angst.«
    »Wer ist das?«
    »Irgendein Amerikaner.«
    Ein dicker Regentropfen schlug gegen die Fensterscheibe und zerfloss in mehrere Rinnsale wie die Skelettfinger einer Hand.
    »Woher weißt du, dass er Amerikaner ist?«
    »Ich hab gehört, wie er

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