Stahlhexen
sieben weggegangen.«
»Err ist um sieben wäggägangän!«, äffte John Rossi ihren Akzent nach. Er kratzte sich die Brust, lächelte dann plötzlich und zeigte auf den Boden. »Hey, direkt da unten ist das Zimmer, wo sie sich immer umzieht. Die Bodenbretter hier sind total lose. Ich könnte eins rausnehmen und ein kleines Guckloch machen. War überhaupt kein Problem.«
»Wegen meinem Dad...«
»Ihr Dad ist einer von der ruhigen Sorte. Der denkt viel. Redet nicht gern, kann sich schlecht ausdrücken. Und wenn er mal redet, kommt es immer so verquast raus. Nicht so, wie es soll.«
»Steckt er in Schwierigkeiten?«
John Rossi zog an seiner Zigarette und schüttelte den Kopf.
»Ist gestern Abend oder gestern Nacht irgendwas Ungewöhnliches passiert?«
»Gestern Abend? Ja, könnte man schon sagen, dass das ungewöhnlich war. Ihr Dad hatte Besuch.«
»Von wem?«
»Hab ihn nicht gesehen. Aber gehört.« »Erzählen Sie mir davon, John. Ich mache mir Sorgen um meinen Dad.«
»Ach ja? Und warum haben Sie ihn nie besucht?«
»Wir haben keinen Kontakt.«
»Haben Sie sich zerstritten?«
»Ja, haben wir.«
»Sind Sie wütend auf ihn?«
»Ich war lange wütend auf ihn.« Wie leicht es ihm fiel,
dachte Fletcher, mit alten Leuten über solche Dinge zu reden, weil er immer das Gefühl hatte, dass sie bald sowieso schon wieder alles vergessen hatten. Ein trügerisches Gefühl, wie er wusste. »Erzählen Sie mir von diesem Besucher.«
John Rossi kratzte sich am Unterarm und betrachtete die Tätowierungen. »Die hab ich mir i960 in Gibraltar machen lassen. Als sie frisch waren, waren sie schön.« Er blickte wieder auf. »Was ist mit Ihrer Mutter?«
»Mit der habe ich auch keinen Kontakt.«
Rossi runzelte die Stirn. »Wie kommt das?«
»Sie sind zu neugierig, John.«
»Manchmal muss man über so was reden.«
Fletcher hatte wieder die Geräuschkulisse des möblierten Zimmers von damals im Ohr, den Verkehr und das Gedudel aus dem Nachbarzimmer.
Ich habe ihr kein Haar gekrümmt, Tom.
Und was ist ihr dann zugestoßen?
»Meine Familie ging kaputt, als ich fünfzehn war. Meine Mutter ist gegangen. Mein Dad hatte seine eigenen Probleme und ist schließlich hierher gezogen. Seit damals habe ich meine Mutter nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, wo sie heute ist.«
»Warum ist sie gegangen?«
»Das weiß ich nicht, John.«
»Das ist hart, mein Junge. Ich an Ihrer Stelle würde sie vermissen.«
»Ja, John. Ich vermisse sie.«
»Haben Sie jemals versucht, sie zu finden?«
»Nein. Aber ich glaube, dass sie zurückkommt.«
»Das wünsch ich Ihnen, mein Junge. Jeder braucht eine Familie. Jemanden, dem er vertrauen kann.« Rossi drehte sich um und betrachtete die Schneeflocken. »Ich hab den Besucher nicht gesehen. Nur gehört, wie jemand den Korridor entlangkam, so gegen elf Uhr abends? Klang nach einem
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großen, schweren Mann. Klopfte an die Tür von deinem Dad und ging rein. Was sie sagten, konnte ich nicht hören.« »Wirklich nicht, John?«
»Etwa durch die Tür durch und quer über den Flur?«
»Aber versucht haben Sie's schon?«
»Ich konnte nichts verstehen. Aber wer sind diese Hexen?«
»Hexen?«
John kratzte sich am Hals. Auch seine Kehle war kreuz und quer von roten Kratzstriemen überzogen. »Als der große Mann wieder rauskam, sagte er noch etwas, bevor er die Tür zumachte, und zwar: >Sie weiß das mit den Hexen. Ich werde sie warnen.<«
»Was bedeutet das?«
»Mehr hat er beim Rausgehen nicht gesagt.« John zuckte die Schultern. »Aber jetzt machen Sie sich mal keine Sorgen wegen Ihrem Dad. Der kann für sich selbst sorgen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
John drehte sich um und blickte wieder auf den Schnee hinaus. »Nördlich und westlich von hier liegt der Schnee fast einen Meter hoch. Bald setzt Tauwetter ein und regnen wird es auch. Und zwar in Strömen. Das spüre ich auf der Haut. Es wird eine Überschwemmung geben.«
»Hier oben sind Sie sicher.«
»Aber ich hab vielleicht Löcher im Boden.«
Er wandte sich wieder Fletcher zu und neigte den Kopf.
»Hat mein Vater Ihnen vor seinem Aufbruch noch irgendetwas gesagt?«
»Nein.«
»Aber irgendetwas haben Sie für mich, John, nicht wahr?«
John Rossi betrachtete Fletcher durch den Zigarettenrauch hindurch. Dann wies er mit einem Nicken auf das Regal an der anderen Wand. Fletcher drehte sich danach um und sah ein paar Taschenbücher, eine Broschüre zum Thema Leben mit Ekzemen und eine Fernsehzeitschrift. Am Ende der Reihe
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