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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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hat, auf des Liebhabers Mignon Brust eine Messe zu lesen.
    Vier Jahre nach Erscheinen des Buches – «ein Homoporno in der diamantenen Sprache der Madame de La Fayette», wie ein Kritiker schrieb – verfassen Cocteau und Sartre, unterstützt unter anderem von Picasso, einen dramatischen Appell an den Staatspräsidenten Vincent Auriol:
    Herr Präsident, 15 . Juli 1948 wir haben beschlossen, an Ihre hohe Autorität zu appellieren, daß Sie eine Ausnahmeregelung treffen hinsichtlich eines Schriftstellers, den wir alle bewundern und achten: Jean Genet. Wir wissen durchaus, daß sein Werk am Rande der Literatur steht und nicht jedermanns Sache sein kann. Aber das Beispiel von Villon und von Verlaine veranlaßt uns, Sie um Ihre Hilfe für einen sehr großen Dichter zu bitten.
    Noch vor seiner Freilassung ist Genets Œuvre praktisch abgeschlossen. Unter anderem mit den Romanen «Miracle de la Rose» ( 1946 ), «Querelle de Brest» ( 1947 ) oder den Stücken «Les Bonnes» ( 1947 ) und «Haute Surveillance» ( 1949 ) – ein gigantisches Fresko der Verwerfung und Verworfenheit: «Dies ist ein Fest, dessen Teile nicht zusammenpassen, es ist die Feier von Nichts», sagt Genet. Oder
des
Nichts? Denn: Nie zuvor ist die Welt überzeugender verworfen worden; aber: indem sie einfach bejaht, angenommen wurde. Rimbaud wollte das Leben ändern und Marx die Gesellschaft. Der Findling von Mettray, der Häftling von Fontrevrault, der Freigelassene von Paris (der nie eine Wohnung, nie eine Adresse hatte) wollte gar nichts ändern. Genet akzeptiert das Böse – als die andere Seite des Schönen. Für ihn ist das Profane das Wunder – und das Wunder bleibt profan.
Se dé-humaniser,
sich entmenschlichen, heißt sich befreien, heißt sich dem Göttlichen anverwandeln. Affranchi – befreit – ist Divine, nachdem sie des Nachbarn Kind dazu brachte, vom Balkon zu fallen, «um alles Gute in sich zu töten. Nun war sie übermenschlich – das Gute in ihr war tot.»
    Übermenschlich ist gleich unmenschlich, eine neue Qualität. So heißt der Leutnant auf Querelles Schiff, der als der skrupelloseste von allen geschildert wird, Seblon – ein Anagramm; richtig gelesen, ist es das Wort «Vornehmheit».
    Hier nun liegt auch das politische Skandalon Genet – ob er nun imstande ist, die deutschen Bomberpiloten zu lieben, die Todesstrafe zu bejahen oder auf Seite eins von «Le Monde» über Baader-Meinhof zu jubeln; die können eben noch Black Panther geheißen haben, deren Kampf er in einem Interview applaudierte: «Aber was mich mit ihnen auf Anhieb verband, war der Haß, den sie der weißen Welt entgegenbringen, ihr Ziel, eine Gesellschaft zur zerstören, zu zerbrechen. Ein Ziel, das auch meines war, als ich sehr jung war; aber ich konnte die Welt nicht ganz allein ändern. Ich konnte sie nur pervertieren, ein wenig korrumpieren.» Und auf die Frage: «Sind Sie selbst voller Haß?», antwortet er: «Gegen die repressive Form der weißen Gesellschaft, ja.»
    Das mag es sein, was Marieluise Fleißer den «rettenden Hochmut» nannte, der Genets verschütteten Rang beweist; das mag es
auch
sein, was Gabriel Marcel einen «beleidigenden Nihilismus» nannte; das war es gewiß, was die tumultartigen Proteste der Rechten provozierte, als 1966 das Théâtre de l’Odéon sein unschwer als algerische Paraphrase zu verstehendes Stück «Die Wände» spielte. Das alles ergibt ein Raster der Genetschen «Haupt-Worte»:
    Autorität gibt es nur
in
einem Menschen, nicht außerhalb; die Gesellschaft hat keine. Die Wahl, der Sprung, die Entscheidung – ganz im klassischen Sinne des Sartreschen Existentialismus – liegt beim
Einzelnen.
Was der Mensch empfängt, muß er gewollt haben.
Der Begriff der Zärtlichkeit wird denunziert; er fällt bei Genet nur im Zusammenhang mit Blindschleiche, Vogel, Scharfrichter oder Henker; wahre Zärtlichkeit im Genetschen Kosmos kristallisiert sich an Begriffen der Härte: Glas, Stahl, Waffe, Metall, Messer, Muskeln, Penis. Zärtlichkeit also ist Tun, Aggressivität. Folgerichtig «existiert» bei Genet kaum der Ermordete, interessant ist der Mörder, der Täter, der im Koitus Aktive. Der Akt ist entscheidend – er ist die Chance zur Befreiung. Diese Befreiung vollzieht sich innerhalb eines Trinitätsmythos: der Mörder, der Mord, das Urteil. Das Urteil ist dabei nicht das Gesetz, sondern meist die «Übernahme» des Ermordeten: Querelle wird Vic – so wie er bislang in einer rücklaufenden Dialektik immer

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