Stahlstiche
überwältigt wurde von der Persönlichkeit seines jeweiligen Opfers. So wird auch Notre Dame des Fleurs nach dem Mord heilig. Er hat ein Leben genommen, es ist jetzt in ihm, er hat es aufgenommen. Notre Dame des Fleurs hat sich entmenschlicht, kann erlöst, kann Gott werden.
Mord ist ein Akt momentaner Aufgabe der Persönlichkeit – und der Inbesitznahme, auch Entwertung des Opfers: Die Zofen wollen morden,
um Madame zu werden.
(Und im für Roland Petit geschriebenen Ballett «Adam Miroir» wird der ermordete Matrose zum mordenden Domino.) Erst als es den Zofen mißlingt, als die vorweggenommene, rollenhaft eingeübte Existenz der Madame ihnen verwehrt bleibt, als das Mordritual auf sie zurückschlägt, als Solange ihrer Schwester Claire den vergifteten Tee reicht, heißt es: «Jetzt sind wir Mademoiselle Solange.»
Hier findet sich der dritte Haupt-Satz Genets: Da Liebe das Bewußtsein von Trennung vermittelt, da in der Liebe unser Ich uns betrachtet, die Vereinigung also der Augenblick klar wahrgenommener Einsamkeit ist, ist Identität nur zu finden im Tod, im Mord, im Auslöschen eines anderen. Während Querelle sich koitieren läßt, denkt er an Tod und Mord.
Das Moment von Wahn und Verzückung, von Entäußerung und damit Neuentstehung erwächst erst aus der Verbindung von Eros und Tod: der Wunsch, den Toten zu verschlingen. «Pompes Funèbres», das düsterste Buch Genets, ist ganz dem Gedanken des Todes geweiht:
Seit ich dieses Buch schreibe, das ganz dem Kult eines Todes geweiht ist, mit dem ich in engster Vertraulichkeit lebe, habe ich eine Art von Überschwenglichkeit kennengelernt, die mich unter dem Schleier des Alibis von Jeans Ruhm in ein immer intensiveres, immer verzweifelteres Leben, in immer größere Kühnheiten stürzt … ich bin trunken von Leben, von Gewalt, von Verzweiflung.
Die Dreiheit Leben, Gewalt, Verzweiflung – Stufen einer Entwicklung fast – gibt Kraft zu zerstören; und zerstören heißt neue Identität gewinnen. Wie der Liebesakt Zerstörung ist, so ist der Tod, auch der Mord, ein Liebesakt. Sich hinzugeben und gleichzeitig das zu lieben, was man verabscheut: Darin «liegt ein wenig ihre Heiligkeit begründet», sagt Genet über Divine. Worte und Begriffe sind bei ihm spiegelverkehrt, sind doppeldeutig.
Oben und unten sind in Genets Welt auf sonderbare Weise eins:
voler
heißt «stehlen» und «fliegen». Spiegelbegriffe: das heißt, Dinge und Welt spiegelnd begreifen. Das beginnt mit Genets Selbstverständnis. Er schlägt Schönheit aus dem Bösen, indem er den Spiegel gleichsam beschwört, ihn zwingt, zu spiegeln, was er, Genet, will. Sartre hat das den «Schlüssel» zu Genet genannt – zu dem Kind, das man davon überzeugt hat, im Tiefsten seines Selbst ein anderer als er selbst zu sein.
«Als Dieb wird Genet sich erwarten, wie die anderen ihn erwarten, mit
ihrer
Erwartung.»
Die Szene aus «Pompes Funèbres», in der Eric sein Spiegelbild erschießt, ist dafür ein klassisches Beispiel: «Seine linke Hand öffnete die Tasche, zog den Revolver, zielte auf Eric und gab Feuer. Zugleich mit dem Knall erscholl ein gellendes Gelächter. Es waren die fünf nach Hause kommenden Kameraden. Eine Salve dröhnte durch das Schloß. Alle fünf schossen auf ihre Bilder. Jeden Abend begann dieselbe Orgie, doch während die anderen auf ihr Herz zielten, schoß Eric auf sein Geschlecht, und manchmal auch auf das der anderen.»
Selbsthaß und Selbstliebe – dieses Moment des Identitätstauschs, der keiner ist – finden sich immer wieder bei Genet. Die Regulierung der Handlungsabläufe, der Kontakt beziehungsweise Nicht-Kontakt der Menschen untereinander ist bei Genet wesentlich bestimmt von diesem Spiegelmotiv, diesem scheinbaren Eintauchen in fremde Identität. Dabei haben seine Figuren oft etwas Erstarrtes, Puppenhaftes, Zeitloses. Diese statuenhafte Starre – nicht flach, wie im Spiegel, sondern dreidimensional –, aus der manche seiner Gestalten zu pirouettenhaft tanzendem Leben erwachen, sind eine andere Variante des Spiegels. Sie kommunizieren nicht. Kein Wunder, daß einer von Genets eindringlichsten Texten den hochmütigen, in Einsamkeit und Freudlosigkeit verharrenden Skulpturen Giacomettis gilt; aber eben in jener Studie finden wir auch gleichsam Genets ästhetisches Credo: «An der Schönheit ist nur die Wunde ursprünglich, die jeder Mensch in sich hütet, einzigartig, für jeden verschieden, sichtbar oder versteckt – die er war und zu der er sich
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