Stahlstiche
sehen›, sagte Gertrude Stein eines Tages zu mir, ‹es genügt schon, wenn er hereinschneit und hier für eine halbe Stunde herumhockt. Wenn er geht, ist der Stuhl zerbrochen, ist die Lampe zerbrochen› – ‹und die Teekanne›, ergänzte Alice B. Toklas. ‹Ezra ist ganz nett›, fügte Gertrude Stein hinzu, ‹aber ich kann’s mir schlichtweg nicht leisten, ihn einzuladen. Das ist alles.›» So versuchte Bowles, seine literarischen Bekanntschaften auch außerhalb der Picasso-behängten Räume von Gertrude Stein zu machen, französische Autoren zumeist wie Bernard Faÿ, Julien Green oder Jean Cocteau, den er häufig besuchte.
Die dritte prägende Erfahrung war die Begegnung mit dem Komponisten Aaron Copland. Freunde hatten ihn empfohlen, und als Copland in Paris eintraf, wurde er dessen Schüler. Sie reisten zusammen durch Europa, Berlin, Zürich, Venedig, München und Hannover, wo Paul Bowles einem unbekannten Mann namens Kurt Schwitters dabei half, Unrat, Balken und allerlei Abfall zu sammeln, aus dem das Etwas entstand, das später als Merz-Bau berühmt wurde.
Seine Bücher lesen sich so, als habe ein gebildeter, etwas müder, gelegentlich blasierter Engländer zum eigenen Zeitvertreib die Kultur gewählt. Die Welt des Paul Bowles ist ein raffiniertes Spiel mit Schönheit und Schein.
Unsere –
die wirkliche – Welt wird weggefiltert; ob Krieg oder Elend oder Rassenwahn oder Sexualität: In seiner 400 Seiten umfassenden Autobiographie «Rastlos» kommt derlei nicht vor – oder ist peinliche, gar abstrus lächerliche Banalität. Das Werk ist eine hochartifizielle Mischung aus luxurierendem Ennui und Bildung. So schuf Paul Bowles nicht nur die Musik zu Tennessee Williams’ «Der Milchzug hält hier nicht mehr» oder «Die Glasmenagerie» und schrieb mit ihm zusammen das Drehbuch für Viscontis Film «Senso»; er komponierte auch für einen Film von Hans Richter, an dem unter anderem Marcel Duchamp, Man Ray und Alexander Calder mitarbeiteten, Sequenzen zu Max Ernsts Collagen «Une Semaine de Bonté» und eine Flötensonate nach Saint-John Perses «Anabasis». Mit Orson Welles arbeitete er an einem Marloweschen Faust, mit Salvador Dalí für das berühmte Ballett des Marqués de Cuevas, und Leonard Bernstein schrieb unter seinem Namen Musik für Broadway-Produktionen. Paul Bowles übersetzte Jorge Luis Borges und Ramón José Sender, Francis Ponge, André Pieyre de Mandiargues und Jean-Paul Sartre, von dem er eines seiner genüßlich-despektierlichen Portraits fixierte: «Als Sartre in New York eintraf, traf Jane ihn auf einer Party einen Tag bevor er mit seiner portugiesischen Freundin Dolores Ehrenreich zum Lunch kam. Als er seinen Mantel ablegte, hörte ich Jane sagen, ‹Wir haben uns gestern kennengelernt›. Sartre zuckte die Achseln und sagte: ‹Vielleicht. Hab’ ich wohl vergessen.› Über Jane’s ‹Ich nicht› wollte ich mich ausschütten vor Lachen.›»
Jane. Hier taucht das erste Mal der Name der Frau auf, die wir heute als eine der bedeutendsten amerikanischen Schriftstellerinnen schätzen und deren Leben – nach ihrer Heirat mit Paul Bowles – seltsam flackernd durch seine Memoiren geistert: die lesbischen Liebesverhältnisse wie ihre Trunksucht wie ihr oft gänzlich verzweifelter Kampf mit den Worten. Ein anämisches Paar, das gemeinsam die halbe Welt bereist, das sich trennt, um zueinanderzufinden, dessen Auseinanderdriften reguliert wird von Sehnsucht. Sie waren ein Chagall-Paar.
Der Roman «Himmel über der Wüste» begründete seinen literarischen Ruhm, er gilt als Musterbeispiel eines amerikanischen Existentialismus. Das Buch mit dem verstörenden Motto von Eduardo Mallea «Das Schicksal eines jeden Menschen ist nur insofern ein persönliches, als es etwas zu gleichen scheint, das schon in seiner Erinnerung ist» ist eine Art Krimi aus Gleichmut. Paul Bowles’ Stil ist Ausdruck seiner Weltsicht wie seiner existentiellen Erfahrung. Die Summe könnte ungefähr lauten: Ich bin von allem ein Teil – und nehme Anteil an nichts. Paul Bowles, der eine Insel bei Ceylon besaß, einen Palast in Marokko bewohnte, die Welt durchreiste von Rio de Janeiro bis Dresden, blieb zugleich – der große Unberührbare. So kann er mit derselben inneren Distanz Schwulentratsch erzählen auf dem Niveau irgendwelcher Friseurtunten – etwa wie Gore Vidal mit verstellter Stimme als Truman Capote bei Tennessee Williams anrief, um eine deftige Literaturintrige einzufädeln –, wie er
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