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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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eine geradezu kärgliche Existenz: Erst sehr spät überhaupt eine eigene Wohnung, eigene Möbel, wenig Reisen, gewiß keine üppigen Diners bei Schlichter und keine Weinlieferungen von Rollenhagen – der langjährige «Weltbühne»-Chef hatte als Häftling kaum das Geld für Briefmarken, Zeitungsabonnement und Zigaretten. Dabei war er gewiß kein lebensverachtender Robespierre, der den Dantons das Hühnchen verübelte; eher ein karger, disziplinierter Arbeiter mit einem – seltsamer Widerspruch – zugleich milden wie unbestechlichen Sinn für Gerechtigkeit, für Proportionen und für Anstand. Seine politischen Urteile tragen auch immer den leisen Hauch von Degout, ein unausgesprochenes «Das tut man nicht».
    Carl von Ossietzky war so wenig Zentrum irgendeines intellektuellen, irgendwelcher politischer (mondäner schon gar nicht) Zirkel, daß er noch 1929 zwar Ludwig Renns «Krieg»-Roman rezensiert, aber mutmaßt, «heute ist er Kommunist, vielleicht Funktionär in einem süddeutschen Nest. Man weiß es nicht.» Man wußte es schon – immerhin war Renn Mitbegründer des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller ( BPRS ) und von Beginn an Mitherausgeber der «Linkskurve». Ossietzky saß also nicht als Gast im «Romanischen» und auch nicht in irgendeinem germanischen Café. Dafür saß er bald anderswo: im Gefängnis.
    Als auf jenen Artikel vom 12 . März 1929 hin, den Walter Kreiser unter dem Pseudonym Heinz Jäger zum Thema «Windiges aus der deutschen Luftfahrt» in der «Weltbühne» publiziert hatte, die Jagd auf Ossietzky begann, handelte es sich natürlich nicht nur um diesen Aufsatz. Die dort angedeuteten Zusammenhänge waren ja allenthalben bekannt. Schon am 16 . Dezember 1926 hatte der sozialdemokratische Abgeordnete Scheidemann sämtliche von der «Weltbühne» angeprangerten Skandale der Schwarzen Reichswehr, der Geheimbünde und der heimlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu einem parlamentarischen Mißtrauensantrag gegen den Reichswehrminister zusammengefaßt: auf die im Wandelgang hinterher an Ossietzky gerichtete Frage «Sind Sie nun zufrieden?» antwortete dieser: «Sie haben das Richtige zur falschen Zeit getan.»
    Der Prozeß, aus Gründen der Geheimhaltung nicht öffentlich geführt und in der «Weltbühne» deshalb auch nirgends erörtert oder gar analysiert, trifft Ossietzky in einer deutlichen politischen Entwicklung – und zwar nach links. Ein kleines Detail zeigt, was sich an Ossietzkys Leben geändert hat. Als er seine Haft antreten muß – am 10 . Mai 1932 , ein Jahr später, wird Goebbels vor der Berliner Universität seine literarische Hexenverbrennung zelebrieren –, geleitet ihn eine Delegation von Schriftstellern vor das Gefängnistor: Ernst Toller, Erich Mühsam, Hellmut von Gerlach, aber auch Arnold Zweig, Alfred Kantorowicz und Ludwig Renn.
    Im Dezember 1932 einigten sich SPD , KPD und NSDAP auf ein Amnestiegesetz, und Rudolf Breitscheid setzte durch, daß es auch literarischen Landesverrat betraf. Ossietzky war frei, die «Weltbühne» vom 27 . Dezember beginnt mit seinem Aufsatz «Rückkehr», einer Art Fortsetzung des großen «Rechenschafts»berichts vom Mai, der mehr als das halbe Heft gefüllt hatte und eine Generalbilanz gewesen war, Glanzstück deutscher politischer Prosa, voller Melancholie, aber ohne Resignation.
    Im selben Monat hatte Ossietzky auch jenen Artikel «Ein runder Tisch wartet» veröffentlicht, in dem er Sozialisten und Kommunisten beschwor, zusammenzugehen; er sah inzwischen in dieser Einigung die einzige Möglichkeit, das aufziehende Unheil abzuwenden. Links von sich sah er nur noch Verbündete. Aus praktischer Konsequenz war auch eine ideologische geworden – Ossietzky nannte sich Sozialist. Doch Konsequenz und Erkenntnis kamen zu spät. Und er wußte es. Auf der denkwürdigen letzten Mitgliederversammlung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller am 20 . Februar 1933 in den Kammersälen an der Teltower Straße hielt er seine berühmt gewordene Rede:
    Wir wissen nicht, was im einzelnen geschieht. Aber das eine wollen wir uns heute gegenseitig in die Hände geloben, daß wir, ganz gleich wohin wir auch in den nächsten Tagen und Wochen verschlagen werden, in die Gefängnisse, Zuchthäuser, Konzentrationslager oder in die Emigration, uns selber treu bleiben werden. Wir werden keine Konzessionen machen und überall dort, wo ein Geßlerhut aufgesteckt wird, in schweigender Verachtung vorübergehen.
    Eine Woche später,

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