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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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stand» – denn dort drüben lag Japan … So spannen sie sich ihr eigenes Europa, eine Palisadenstadt aus Sehnsucht und Zorn, aus Heimweh und Richterspruch, der hieß «Lotte in Weimar» oder «Mutter Courage» oder «Der jüdische Krieg». «Exil» – einer der stärksten Romane Feuchtwangers – hießen sie allemal. Er ist aus dem Exil nie zurückgekehrt; die eine (östliche) Hälfte Deutschlands bot ihm Nationalpreis und eine zwanzigbändige Gesamtausgabe – die andere (westliche) Hälfte nichts. «Ich für mein Teil habe mich bemüht, historische Romane für die Vernunft zu schreiben, gegen Dummheit und Gewalt, gegen das, was Marx das Versinken in die Geschichtslosigkeit nennt», schrieb er einmal. Die Farce deutscher Geschichtslosigkeit will’s, daß sein Haus nun Sitz eines amerikanischen Forschungszentrums für die deutsche Exilliteratur wird, von seiner Frau gestiftet, unterstützt und finanziert; denn der alterslose Chinese mit dem Wiener Akzent und der seidenstarken Energie ist: Marta Feuchtwanger, 88 , Weggefährtin mit den Dollars im Rocksaum, Bewahrerin seines Erbes, unermüdlicher Berichterstatter versunkener Zeit und elegante Hausherrin mit Schalk und Flirt im Blick noch immer.
    DIE ZEIT , 52 / 22 .  12 .  1978

Er war eine Fackel
    Über Carl von Ossietzkys «Sämtliche Schriften»
    Aus alten Legenden und neuem Unsinn bereitete sich Deutschland eine neue verrückte Mixtur. Bismarck war trotz alledem eine Jahrhundertgestalt, Wilhelm  II . – nun, ein nicht unbegabter Jahrmarktkünstler – wer aber ist Adolf Hitler? Wie groß muß die geistige Versumpfung eines Volkes sein, das in diesem albernen Poltron einen Führer sieht, also eine Persönlichkeit, der nachzueifern wäre! Wie groß muß die psychologische Unfähigkeit dieses Volkes sein, sein mangelnder Instinkt für Echtheit und Falsifikate!
    « DIE WELTBÜHNE », 20 .  1 .  1931
    Was für ein Mann. Was für ein Werk. Was für ein Leben (und was für ein Tod!). Diese in Vollständigkeit wie Akribie herausragende Edition der Arbeiten Carl von Ossietzkys führt erstmals so komplett wie komplex einen der führenden Köpfe der Weimarer Republik vor; einen ihrer klarsten Analytiker: eines ihrer spektakulärsten Opfer.
    Der Mann
    Zeitgenossen schildern ihn als hölzern. Dann war er zumindest aus hartem Holz. Andere als knöchern. Dann war er gewiß beinern-unbiegsam. Jener Wappenring, ein Erbstück der Familie, den Carl von Ossietzky sein Leben lang trug, wirkt wie ein Leitmotiv: Er zeigte einen abnehmenden und einen zunehmenden Mond: Ein Ossietzky muß bei jedem Mondwechsel, also immer, zum Kampf bereit sein. Sein berühmtester Kombattant, Kurt Tucholsky, fand nie Zugang zu ihm: Schon 1927  – kurz nachdem er ihn selber als Nachfolger Siegfried Jacobsohns zum «Weltbühne»-Herausgeber berufen hatte – schreibt er enttäuscht: «Der interessiert sich wohl nur für sich alleine … Mir schreibt er nett, aber sehr wenig, geht auf nichts ein … Von Anregung ist überhaupt keine Rede. Da entzündet sich nichts.» Und einen Tag später (am 11 .  7 .  1927 ): «Er antwortet fast garnicht, ich habe schon, glaube ich, vierzehn Tage nichts von ihm gehört – auf Anregungen, Vorschläge, Witze – nichts.» Das wird Jahre später Tucholsky nicht abhalten, sich vehement für den eingesperrten Kollegen einzusetzen: auch wenn der ihn zeitlebens distanziert per «Lieber Herr Doktor» anredete: Die Integrität stand nicht zur Debatte.
    Ein großer Briefschreiber war Ossietzky in der Tat nicht. Schon die frühen Briefe an die umworbene, bald geheiratete Maud (in Indien geborene Tochter eines englischen Majors und einer indischen Prinzessin) schlingern zwischen für einen fast Dreißigjährigen erstaunlichem Kitsch – «Und als wir … uns auf dem Sofa umarmten, in sinnloser Berauschung uns umarmten und gierig wie Verschmachtende unsere Küsse tranken» – und, ebenso verwunderlich, falschem Deutsch: «Es steht zwischen uns keinerlei»; «bereut habe ich niemals die Stunde, wo du in mein Leben tratest.»
    Wozu einiger Anlaß gewesen wäre: Maud von Ossietzky war Alkoholikerin und hat ihrem Mann – zumal dem später so berühmten wie Verantwortung tragenden Journalisten – viel Ungemach bereitet. Der Mann, der bald im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stand (und alsbald im Licht der Verhörscheinwerfer), konnte sich auf seine zu Skandalen, Szenen und Wüstheiten neigende Frau nicht verlassen – und hat es sie nie, nicht mit

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