Stahlstiche
verhindern.
Pathos ist in einer Zeitung nicht erlaubt, heißt eine eiserne Journalistenregel. Also erlaube ich mir Pathos: Als Carl von Ossietzky am 4 . Mai 1938 starb, schwer krank entlassen in die Gruft eines Gestapo-überwachten Spitals und von einem Hochstapler um das Nobelpreisgeld geprellt, war es Mord. Sie haben einen der großen deutschen Publizisten umgebracht, einen, wie wir ihn vielleicht nach Börne nicht mehr hatten.
DIE ZEIT , 51 / 16 . 12 . 1994
Über Rolf Hochhuth
Zynismus ist nie das letzte Wort
Hochhuth ist ein Lyriker von Graden
Rolf Hochhuth ist ein anatomisches Wunder: Er hat zwei Herzen. Das eine gehört – in heute selten gewordener Sanftheit – den Erniedrigten und Beleidigten, denen sein zorniges Mitleid gehört. Das andere schlägt – in heute mehr denn je notwendiger Aggressivität – voll emphatischer Wut gegen die verlogen Mächtigen, ihren Mißbrauch von Wirtschaftsüberlegenheit und Gewissenlosigkeit; ein typisches Hochhuth-Diktum lautet: «Ihr Gewissen ist rein, weil nie benutzt.»
Nun liegt ein Buch vor, das all diese Herzrhythmen vereint, gleichsam den Temperament-Strom dieses Schriftstellers mal rasend, mal gemächlich am Leser vorbeirauschen läßt. Und weil dem Mann ja das Etikett des Bühnenwüterichs anhaftet, eines Thesendramatikers, der eine Spürnase für das jeweils Anstößig-Aktuelle hat, den aber sein Furor eher zuchtlos schreiben läßt – soll hier zuvörderst betont werden: Das Beste in dem Buch sind seine Gedichte. Rolf Hochhuth ist ein Lyriker von Graden, ein Kaltnadelradierer der Poesie – schmucklos, scharf ritzend, aber nicht ätzend, Schicksale oder Momente (will sagen Lebenssituationen; oft genug sind es die zum Tode hin) gleichsam in einem Brennglas einfangend. Wenn man die Leser um etwas bitten darf: Sie mögen das Gedicht «Drei Schwestern Kafkas» zu ihrer Erfahrung machen; schauerliche Lakonie, flammendes Menetekel.
Es wäre durchaus an der Zeit, daß sich ein Kompetenter einmal in einem gründlichen Essay darauf einläßt herauszukristallisieren, in welcher Tradition zwischen Rufgedicht, Apodiktikum, Ballade und lyrischem Lehrstück Hochhuth steht – und wo, wie er diese Tradition fortführt, also bereichert. «Politisch Lied ein garstig Lied» ist ja der Deutschen beliebte Abwehrhaltung, in jenem Kissen versinkend, auf das gestickt ist «Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder». Allein die drei großen B der deutschen Literatur – Büchner, Brecht, Benn – sind ein einziger Widerspruch gegen diesen Blödsinn; daß etwa Georg Büchner eine Art RAF -Mann
avant la lettre
war: wird ins Gefällige weggebügelt – der bedeutendste Literaturpreis trägt ja seinen Namen.
Seltsamerweise – der Band hat keinen Herausgeber; und so, kunterbunt und durcheinander, ohne innere
Figura
, sieht er auch aus – hat Hochhuth seine Gedichte verstreut zwischen (hier überflüssigen) alten Texten etwa zu Adorno, zwischen tagebuchähnlichen «Maximen und Reflexionen», die mal eine sehr hübsche Philippika gegen Jugendstillyrik und mal ein Abwatschen Adenauers durcheinanderschütteln («Jehört der nich in die Soffjet-Zone», hatte der über Thomas Mann gesagt). So liederlich, wie der Verlag das Buch dem Leser vor die Füße knallt, ist das empörende Zitat dann gleich zweimal zu finden. Auch Hochhuths eigene Verteidigung dieses Zettelkastenprinzips («Das Leben hat auch kein System») steht da auf schwankendem Boden: Das Wesen der Kunst – unter anderem – ist ja eben, daß sie durchaus
nicht
identisch ist mit Leben. Als bei einer Vernissage eine empörte Dame zu Franz Marc sagte «Pferde sind aber nicht blau», antwortete der «Das sind auch keine Pferde, das ist ein Bild». Kunst ist Struktur.
Rolf Hochhuth, ein rascher – und, glücklicherweise, oft rasanter – Schreiber, setzt sich mitunter diesem strengen Formgebot nicht aus, sondern sich darüber hinweg. In diesem Buch ist das hervorstechende Beispiel das Theaterstück, das dem Band den Titel gab (wieso nun auch noch ein Stück in diesem Potpourri?). Er nennt es «Tragikomödie», dieweil es eher eine grandios gedachte Farce ist: die in die eisigen Höhen des Absurden getriebene Fabel eines Mannes, dessen Vater im KZ ermordet wurde, denunziert, weil er den Hitlergruß verweigert hatte. Der Sohn will den Vater rächen – und sich, nämlich ins Irrenhaus, retten –, indem er tagaus, tagein «Heil Hitler» bellt, bei selbst für stramme
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